Token-Klassifikation 2025: MiCA vs. MiFID II – Wann ein Token rechtlich zum Finanzinstrument wird

Verfasst von
Max Hortmann
28 Nov 2025
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Über den AutorMax Nikolas Mischa Hortmann ist Rechtsanwalt für Digital-, Krypto- und Finanzmarktrecht. Er berät Anleger, FinTechs, Emittenten und Unternehmen zu MiCA-Compliance, Token-Strukturen, Marktmissbrauchsrisiken und digitalen Kapitalmarktinstrumenten. Er veröffentlicht regelmäßig zu MiCA, Tokenisierung und Krypto-Regulierung.

Kryptowerte zwischen MiCA und MiFID II – Systematik der Token-Klassifikation

I. Einleitung

Die Einordnung von Kryptotoken in das Gefüge des europäischen Finanzmarktrechts entscheidet über nahezu alles:
Prospektpflicht oder Whitepaper, MiFID-II-Lizenz oder MiCA-Erlaubnis, Marktmissbrauchsregime nach MAR oder nach MiCA, Anleger- und Funktionsschutz „light“ oder „voll“. Möslein beschreibt dieses Spannungsverhältnis zwischen Anleger- und Funktionsschutz als System „kommunizierender Röhren“, das sich nun auf die neue Assetklasse der Kryptowerte erstreckt.

Gerade an der „allerersten Weggabelung“, dem Begriff des Finanzinstruments, sieht Linardatos eine Vielzahl von Fallstricken – sowohl im nationalen wie im Unionsrecht. Die Token-Klassifikation ist damit nicht nur eine technische, sondern eine zentrale rechtspolitische Schlüsselfrage.

Im Folgenden wird – auf Grundlage der Aufsätze von Möslein, Linardatos sowie Schröder/Iurasov/Demirtas – eine funktionsbezogene Systematik der Token-Klassifikation entworfen, die das Verhältnis von MiFID II und MiCA sowie die Rolle tokenisierter Wertpapiere (insb. digitaler Aktien) abbildet.

II. Normativer Rahmen: MiCA und MiFID II als komplementäre Regime

  1. Finanzmarktrechtliches Gepräge der MiCA

Möslein ordnet die MiCA-Verordnung ausdrücklich als finanzmarktrechtlich geprägtes Regelwerk ein: Sie übernimmt Struktur und Instrumente des klassischen Kapital- und Finanzmarktrechts, ohne jedoch Cyberrisiken oder technikspezifische Gefahren ins Zentrum zu stellen. Ziel ist primär Anleger- und Funktionsschutz – nicht etwa IT-Sicherheit oder Klimaschutz.

Zugleich besteht eine Komplementarität zu bestehenden Finanzmarktregelungen: MiCA soll solche Kryptowerte erfassen, die keine Finanzinstrumente im Sinne von MiFID II sind; letztere bleiben dem traditionellen Kapitalmarktrecht unterstellt.

  1. Abgrenzung MiCA – MiFID II

Die Folge ist ein Nebeneinander von:

  • Finanzinstrumenten (u.a. klassische Wertpapiere, Derivate, bestimmte Token), die MiFID II/MiFIR, ProspektVO und MAR unterfallen;
  • Kryptowerten i.S.d. MiCA, die nicht als Finanzinstrumente qualifizieren und daher einem eigenständigen Whitepaper-, Verhaltens- und Marktmissbrauchsregime unterliegen.

Möslein zeigt, dass dieses System nicht lückenlos und nicht vollständig kohärent ist – gerade an der Schnittstelle von Kryptowerten und Finanzinstrumenten. Genau hier setzt die Token-Klassifikation an.

III. Funktionsbezogene Abgrenzung nach Linardatos

Linardatos entwickelt eine sehr differenzierte Sicht darauf, wann ein Token als Finanzinstrument zu qualifizieren ist und wann nicht. Seine Argumentation ist konsequent funktionsorientiert.

  1. Payment- und Store-of-Value-Token

Finanzinstrumenten gehören solche Werte nicht an, die:

  • eine unmittelbare Zahlungsfunktion und
  • eine Wertspeicherfunktion besitzen,

wobei beide Kriterien kumulativ vorliegen müssen.

Typische Zahlungs- oder Zahlungs-„ähnliche“ Kryptowerte, die primär als Zahlungsmittel und Wertspeicher fungieren, fallen demnach nicht unter den Finanzinstrumentbegriff – unabhängig von etwaigen Kursschwankungen.

  1. Token mit beschränktem Einlöserecht

Keine Finanzinstrumente sind ferner Token,

  • die mit einem beschränkten Einlöserecht verbunden sind (z.B. nur bei einem bestimmten Emittenten verwendbar) und
  • die keinen informationsbasierten Wertschwankungen unterliegen.

Hier fehlt es an einem marktorientierten Anlagecharakter; der Token erschöpft sich in seiner Produktfunktion.

  1. Abgrenzung zu Geldmarktinstrumenten

Den meisten Kryptowerten fehlt nach Linardatos die Vergleichbarkeit mit Geldmarktinstrumenten, weil es ihnen an:

  • Kurzfristigkeit und
  • entsprechender Marktgepflogenheit

mangelt. Auch hier wird also stark auf die realwirtschaftliche Markt- und Nutzungspraxis abgestellt, nicht auf die technische Ausgestaltung.

  1. Handel auf geregelten Märkten i.S.d. MAR

Werden Kryptowerte nicht auf einem Markt i.S.v. Art. 2 Abs. 1 MAR gehandelt, ist allein MiCA über die Kategorie der „anderen Kryptowerte“ anwendbar.

Damit knüpft die Abgrenzung auch an die Marktinfrastruktur an: Wo kein klassischer Handelsplatz im Sinne der Marktmissbrauchsregeln existiert, sollen diese nicht „durch die Hintertür“ greifen.

IV. MiCA-Kategorien und ihr Verhältnis zu Finanzinstrumenten

  1. Currency, Utility, Security Token

Linardatos erinnert daran, dass die Kategorisierung in Currency-, Utility- und Security-Token zwar keine unmittelbare Rechtswirkung entfaltet, in der Praxis aber enorme Bedeutung für die Erstqualifikation hat.

  • Currency Token: typischerweise Payment-/Store-of-Value-Funktion → eher keine Finanzinstrumente.
  • Utility Token: produktbezogenes Nutzungsrecht → eher keine Finanzinstrumente, sofern keine Kapitalsammelfunktion und keine informationsbasierten Wertschwankungen.
  • Security Token: bilden klassische Wertpapiere ab (z.B. Aktien, Anleihen) → regelmäßig Finanzinstrumente.
  1. Asset-Referenced Token (ART) und Derivate

Vermögenswertereferenzierte Token (ART) sind nach Linardatos Derivaten wesensverschieden, weil sie:

  • nicht dem Transfer von Risiken dienen und
  • keine Hebelwirkung aufweisen.

Sie bilden Vermögenswerte ab oder referenzieren sie, ohne das typische Chancen-/Risikoprofil eines Derivats zu übernehmen. Daher landen sie typischerweise im Anwendungsbereich der MiCA, nicht bei MiFID II.

Darstellung von Token-Arten, Kapitalmarkt-Regulierung (MiCA/MiFID II) und Blockchain-Strukturen – ideal für rechtliche Einordnung und Compliance-Erklärungen.
Visualisierung zentraler Token-Kategorien (Utility, Security, Art), ihrer Kapitalmarkt- und Blockchain-Einordnung sowie regulatorischer Rahmen wie MiCA und MiFID II. Zeigt die strukturelle Klassifizierung digitaler Assets und ihre Bedeutung für Recht, Compliance und Investment.

V. Kapitalmarktfunktion: Masse, Kapitalsammelcharakter, Informationsbedürfnis

Ein weiterer zentraler Prüfstein ist die Kapitalsammelfunktion des Tokens.

Nach Linardatos scheidet eine Einordnung als Finanzinstrument aus, wenn:

  • keine massenhafte Ausgabe von Token erfolgt,
  • keine relevante Kapitalsammelfunktion nach standardisierten Merkmalen vorliegt und
  • das Informationsbedürfnis des Erwerbers rein produktbezogen ist.

Solche Token mögen unter die MiCA fallen – etwa als „andere Kryptowerte“ – bleiben aber außerhalb des Finanzinstrumentbegriffs. Dass MiCA gleichwohl anwendbar ist, erklärt Linardatos mit dem technikspezifischen Regelungsansatz: Die MiCA knüpft an Technologie und Marktstruktur an, nicht allein an klassische Kapitalmarktmerkmale.

VI. Emissionspublizität und Marktmissbrauch: Anschluss an Möslein

  1. Whitepaper vs. Prospekt

Möslein zeigt, dass die Abgrenzung Kryptowert vs. Finanzinstrument unmittelbar auf das Verhältnis von Whitepaper-Regime (MiCA) und Prospektrecht durchschlägt.

  • Bei Finanzinstrumenten: Prospektpflicht, Billigungsregime, Haftung für fehlerhafte Prospekte.
  • Bei nicht-finanzinstrumentellen Kryptowerten: Whitepaper-Pflicht, aber ohne vorgelagertes Billigungsverfahren; Haftungsadressaten und -maßstab unterscheiden sich deutlich.

Die Token-Klassifikation entscheidet daher faktisch über die Intensität des Anlegerschutzes.

  1. Marktmissbrauch ohne Safe Harbours

Auch im Marktmissbrauchsrecht ist die Einordnung folgenreich: MiCA enthält eigene Regelungen zu Insiderhandel und Marktmanipulation, kennt aber keine Safe-Harbour-Regime wie die MAR.

Damit kann dieselbe wirtschaftliche Konstellation je nach Einordnung des Tokens einem strenger oder andersstrukturierten Marktmissbrauchsregime unterfallen.

VII. Digitale Aktien und Security Token im Lichte der Token-Klassifikation

Schröder/Iurasov/Demirtas zeigen am Beispiel der digitalen Aktie, dass die Token-Klassifikation kein abstraktes Problem ist, sondern unmittelbare praktische Konsequenzen für Kapitalmarkttransaktionen hat.

  1. Security Token als Finanzinstrument

Security Token, die Mitgliedschaftsrechte (z.B. Aktien) oder schuldrechtliche Ansprüche (z.B. Anleihen) verbriefen, werden explizit als Finanzinstrumente i.S.v. MiFID II eingeordnet.

Sie sind daher von MiCA ausgenommen; es gelten die traditionellen Wertpapierregime, einschließlich Prospektpflicht, Transparenzanforderungen und Marktmissbrauchsrecht.

  1. Form vs. Funktion

Die digitale Aktie verdeutlicht: Nicht die technische Form (Papierurkunde, Globalurkunde, Blockchain-Token) ist entscheidend, sondern die materielle Rechtsposition:

  • Die tokenisierte Aktie bleibt Aktie – und damit Finanzinstrument.
  • Die Tokenisierung verändert primär die Abwicklungs- und Verwahrungsstruktur, nicht den aufsichtsrechtlichen Status.

Damit bestätigt die Praxis der Security Token den funktionsbezogenen Ansatz von Linardatos.

VIII. Fazit

Die drei herangezogenen Beiträge zeichnen ein konsistentes Bild:

  • Die Token-Klassifikation ist funktionsbezogen auszurichten: Zahlungs- und Wertspeicherfunktion, Kapitalsammelcharakter, Marktplatzanbindung, Risikotransfer und Informationsbedürfnis sind zentrale Kriterien.
  • MiCA und MiFID II stehen in einem komplementären Verhältnis; ihre Abgrenzung ist für Anleger- und Funktionsschutz entscheidend, aber systemisch nicht lückenlos ausgestaltet.
  • Security Token, insbesondere digitale Aktien, demonstrieren, dass die Tokenisierung an der Kapitalmarktqualität eines Instruments nichts ändert – sie verschiebt nur die technische Ebene der Abwicklung.

Für die Praxis ergibt sich: Jede Token-Emission muss mit einer präzisen Klassifikationsanalyse beginnen. Wer hier falsch liegt, bewegt sich entweder in einer unbeabsichtigten Vollregulierung – oder in einer gefährlichen Regulation Gap mit erheblichen Haftungsrisiken.

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1. Wann gilt ein Token als Finanzinstrument?
Wenn er Kapitalmarktfunktionen wie Investition, Handelbarkeit und informationsbasierte Wertschwankungen aufweist.

2. Fällt ein Utility Token automatisch unter MiCA?
Ja, sofern er kein Finanzinstrument ist — aber ohne Kapitalmarktfunktion meist nur „sonstiger Kryptowert“.

3. Sind Security Token von MiCA ausgenommen?
Ja. Security Token bleiben Finanzinstrumente und unterliegen MiFID II, ProspektVO und MAR.

4. Was ist die wichtigste Abgrenzung bei ART-Tokens?
ARTs sind kein Derivat, weil sie keinen Risikotransfer und keine Hebelwirkung enthalten.

5. Welche Rolle spielt das Whitepaper?
Es ersetzt im MiCA-Regime den Prospekt — aber ohne Billigungsverfahren und mit eigenem Haftungsmodell.

6. Warum ist die Token-Klassifikation so entscheidend?
Weil sie bestimmt, ob MiCA, MiFID II, MAR oder Prospektrecht gelten. Dies beeinflusst Whitepaper-Pflichten, Haftung, Marktmissbrauchsrisiken und die Aufsichtsstruktur. Eine Fehlklassifikation führt schnell zu unerlaubtem Erbringen regulierter Dienste.

7. Wie grenzt man Utility Token von Finanzinstrumenten ab?
Utility Token sind keine Finanzinstrumente, wenn sie (a) primär Nutzungsrechte gewähren, (b) kein massives informationsbasiertes Kursschwanken zeigen, (c) keine Kapitalsammelfunktion erfüllen und (d) in ihrer wirtschaftlichen Funktion nicht Wertpapiere nachbilden.
Linardatos betont insbesondere: beschränktes Einlöserecht + fehlende informationsbasierte Volatilität → kein Finanzinstrument.

8. Welche Merkmale sprechen stark für ein Finanzinstrument (Security Token)?

  • Verbriefung von Mitgliedschafts- oder Vermögensrechten
  • Kapitalmarktfähigkeit & Handelbarkeit
  • wirtschaftliche Vergleichbarkeit mit Aktien/Anleihen
  • investive Funktion
  • Einbindung in Handelsplattformen nach MAR
    → Schröder/Iurasov/Demirtas zeigen am Beispiel der digitalen Aktie: Form egal, Funktion entscheidet.

9. Wann greift das MiCA-Marktmissbrauchsrecht und warum ist es wichtig?
MiCA enthält eigene Verbote für Insiderhandel und Marktmanipulation. Möslein weist darauf hin, dass es keine Safe-Harbour-Regelungen wie in der MAR gibt. Das heißt: Das Risiko ungewollter Marktmissbrauchstatbestände ist höher, insbesondere bei Projekten ohne Finanzinstrumentstatus.

10. Kann MiCA auch gelten, wenn kein Finanzinstrument vorliegt?
Ja. Linardatos betont, dass MiCA als „technikspezifische Regulierung“ greift, wenn Token keine klassischen Kapitalmarktmerkmale besitzen — etwa bei ART, EMT und Utility Tokens. MiCA ist damit kein „kleineres Prospektrecht“, sondern ein paralleles, technikbezogenes Regime.

🔗 Weiterführende Beiträge zu Tokenisierung, MiCA & Kapitalmarktregulierung

MiCA 2025 – Die rechtliche Architektur moderner Tokenmodelle
https://www.hortmannlaw.com/articles/mica-2025-anwalt-krypto-tokenmodelle

Tokenomics rechtlich modellieren – Risiken & Investorenschutz
https://www.hortmannlaw.com/articles/tokenomics-rechtlich-modellieren-risiken

MiCA Tokenangaben & Anlegerinformationen (Transparenzpflichten 2025)
https://www.hortmannlaw.com/articles/mica-2025-tokenangaben-krypto-betrug-anwalt

Wie Token-Governance im Krypto-Bereich funktioniert – Pflichtrollen, Risiken & Strukturmodelle
https://www.hortmannlaw.com/articles/anwalt-fur-mica-2025-wie-token-governance-im-krypto-bereich-funktioniert---pflichtrollen-risiken-und-strukturmodelle

MiCA Utility Token rechtssicher gestalten
https://www.hortmannlaw.com/articles/mica-utility-token-rechtssicher-gestalten

Die digitale Aktie – Tokenisierung, eWpG & MiCA im Kapitalmarkt 2025
https://www.hortmannlaw.com/articles/digitale-aktie-tokenisierung-ewpg-mica-kapitalmarkt-2025

Krypto-Betrug & Wallet-Beweise – So sichern Sie Ansprüche als Opfer
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Max Hortmann
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