Ein Grundstück kann auf den ersten Blick makellos erscheinen – gepflegte Fläche, gute Lage, fairer Preis. Doch was, wenn sich im Boden Schadstoffe, Ölrückstände oder alte Deponiereste befinden? Altlasten und Bodenkontaminationen sind häufig unsichtbar, können aber immense Kosten und rechtliche Risiken auslösen.
Warum die Haftung so komplex ist
Die Haftung für Altlasten betrifft zwei Ebenen: zivilrechtlich die Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer, öffentlich-rechtlich die Verantwortung gegenüber dem Staat für die Sanierung. Beide Systeme greifen ineinander und können dazu führen, dass der Käufer selbst dann zur Sanierung verpflichtet wird, wenn der Verkäufer haftet.
Ziel dieses Beitrags
Dieser Beitrag erklärt, wer für Altlasten beim Grundstückskauf haftet, wann ein Haftungsausschluss unwirksam ist, wie sich Käufer schützen können – und welche Rechtsprechung die Grenzen der Verkäuferhaftung zieht. (Headerbild: Baugrund mit Bohrgerät – Symbol für Bodenprüfung und Altlastenuntersuchung.)
Rechtlicher Rahmen
1. Begriff und gesetzliche Grundlage
Altlasten sind schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahrenquellen, die von früheren Nutzungen eines Grundstücks herrühren (§ 2 Abs. 5 BBodSchG). Sie entstehen häufig durch industrielle, gewerbliche oder militärische Nutzung. Zivilrechtlich werden sie als Sachmangel im Sinne des § 434 BGB behandelt, wenn sie die gewöhnliche Beschaffenheit eines Grundstücks beeinträchtigen (2)(4).
2. Öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit
Nach § 4 BBodSchG haftet der Eigentümer für die Sanierung – unabhängig davon, ob er den Schaden verursacht hat (7)(8). Diese Haftung gilt verschuldensunabhängig und kann durch Vertrag nicht ausgeschlossen werden. Behörden können somit auch den Käufer verpflichten, den Boden auf eigene Kosten zu sanieren.
3. Zivilrechtliche Haftung zwischen Käufer und Verkäufer
Zivilrechtlich kommt es entscheidend auf Kenntnis, Offenbarung und Täuschung an. Wer Altlasten kennt oder den Verdacht darauf hat, muss den Käufer informieren. Ein Verschweigen kann arglistig sein (§ 444 BGB) und führt zur Unwirksamkeit eines Haftungsausschlusses (1)(2)(3).
Haftung des Verkäufers
1. Offenbarungspflicht bei bekannten Altlasten
Der Verkäufer ist verpflichtet, über bekannte oder erkennbare Altlasten sowie über Altlastenverdacht zu informieren. Schon ein Verdacht kann einen Sachmangel darstellen, etwa wenn frühere Nutzungen (Tankstelle, Schrottplatz, Industriehalle) eine Kontamination nahelegen (2)(4).
2. Arglist und Beweislast
Verschweigt der Verkäufer Altlasten, handelt er arglistig. In einem vielzitierten Urteil (2) stellte der BGH klar, dass ein bloßes Schweigen ausreicht, wenn der Verkäufer weiß, dass die Altlast für den Kaufentschluss relevant ist. Die Beweislast für Arglist trägt zwar grundsätzlich der Käufer, doch bei konkreten Anhaltspunkten trifft den Verkäufer eine sekundäre Darlegungspflicht: Er muss plausibel erklären, warum er keine Kenntnis hatte (2)(6).
3. Kein Verschulden ohne Kenntnis
Fehlt dem Verkäufer jede Kenntnis und gab es keine objektiven Hinweise auf eine Kontamination, besteht keine Haftung (5). Der Verkäufer darf aber nicht „die Augen verschließen“ – bei erkennbaren Indizien (z. B. alte Tanks, Ölflecken, metallischer Geruch) muss er nachforschen.
4. Rechtsfolgen bei Täuschung
Wird eine Altlast verschwiegen, kann der Käufer
anfechten (§ 123 BGB),
vom Vertrag zurücktreten (§ 323 BGB) oder
Schadensersatz (§ 280 BGB, § 437 Nr. 3 BGB) verlangen. Der Schaden umfasst regelmäßig die Kosten der Sanierung, Wertminderung und Folgeschäden (1)(3)(4).
Altlasten beim Grundstückskauf – Bodenuntersuchung, Haftung des Verkäufers und Sanierungspflichten klären.
Haftung des Käufers
1. Öffentlich-rechtliche Sanierungspflicht
Auch wenn der Verkäufer arglistig handelte, kann die Behörde den Käufer als neuen Eigentümer zur Sanierung verpflichten (§ 4 BBodSchG). Er kann anschließend zivilrechtlichen Regress gegen den Verkäufer nehmen, bleibt aber zunächst Kostenträger (7)(8).
2. Innenverhältnis vs. Außenverhältnis
Vertragliche Freistellungen oder Garantien wirken nur im Innenverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer. Gegenüber der Behörde sind sie wirkungslos. Der Staat kann also trotzdem den Käufer in Anspruch nehmen, selbst wenn der Verkäufer sich vertraglich zur Übernahme der Sanierungskosten verpflichtet hat (8)(9).
3. Bedeutung der Untersuchungspflicht
Käufer sollten grundsätzlich vor Vertragsabschluss ein Bodengutachten (z. B. Phase-I/II-Untersuchung) beauftragen. Unterlassen sie dies trotz Hinweisen, kann dies als Mitverschulden gewertet werden (§ 254 BGB).
Vertragliche Gestaltung und Schutzmechanismen
1. Haftungsausschluss – aber nur begrenzt wirksam
Viele Kaufverträge enthalten Klauseln wie „gekauft wie gesehen“ oder „ohne Gewährleistung für Altlasten“. Diese sind grundsätzlich zulässig, verlieren aber ihre Wirkung bei Arglist (§ 444 BGB) (1)(2)(3). Zudem muss ein Haftungsausschluss transparent und individuell ausgehandelt sein – formularmäßige Klauseln sind häufig unwirksam (§ 305c BGB).
2. Freistellungsklauseln
Eine Freistellung des Verkäufers von Altlastenrisiken wirkt nur intern. Käufer sollten darauf bestehen, dass der Verkäufer sich verpflichtet, eventuelle Sanierungskosten zu übernehmen, und hierfür eine Rückstellung oder Bürgschaft vorsieht (10)(11).
3. Beurkundung und Beratungspflicht des Notars
Wird ein Bodengutachten oder Altlastenhinweis erwähnt, muss der Notar dies mitbeurkunden (§ 311b BGB). Unterlässt er dies, kann eine Haftung wegen unvollständiger Urkunde entstehen (11).
Rechtsprechung im Überblick
1. Verschweigen führt zur Haftung
Das LG Flensburg (1) bestätigte den Rücktritt eines Käufers, weil der Verkäufer Bodenverunreinigungen nicht offengelegt hatte. Auch der BGH (2) und das OLG München (3) stellten klar, dass ein Arglistvorwurf schon bei Verdacht besteht.
2. Verdacht genügt als Sachmangel
Nach der Entscheidung des OLG Celle (4) reicht der Verdacht einer Kontamination als Mangel, wenn er die Wertschätzung oder Nutzbarkeit des Grundstücks beeinträchtigt.
3. Keine Haftung ohne Anhaltspunkte
Der BGH (5) entschied, dass ein Verkäufer ohne jegliche Kenntnis oder Indizien nicht haftet. Eine „Kontrollpflicht ins Blaue hinein“ besteht nicht.
4. Öffentliche Verantwortung bleibt bestehen
Nach ständiger Verwaltungspraxis (7)(8) können Eigentümer auch Jahrzehnte nach dem Kauf zur Sanierung verpflichtet werden. Das Risiko lässt sich durch vertragliche Abreden nicht vollständig ausschließen.
Juristische Bewertung
1. Zivilrechtlicher Schutz des Käufers
Das Zivilrecht schützt Käufer durch Offenbarungspflichten und die Unwirksamkeit arglistiger Haftungsausschlüsse. Wer bewusst verschweigt, haftet auf Schadensersatz in voller Höhe (2)(3).
2. Öffentlich-rechtlicher Vorrang
Trotz zivilrechtlicher Haftung des Verkäufers bleibt der Käufer Adressat der Behördenverfügung. Nur er kann später Regress nehmen. Dies macht Altlastenfälle besonders konfliktträchtig, da zwei Ebenen ineinandergreifen.
3. Präventiver Rechtsschutz durch Prüfung
Das effektivste Mittel gegen Haftungsrisiken ist eine präzise Due Diligence: Bodenproben, Altlastenauskünfte bei der Gemeinde und die Einsicht in Altlastenkataster.
4. Bedeutung für die Vertragsgestaltung
Ein professioneller Vertrag sollte regeln:
Offenlegungspflicht des Verkäufers,
Freistellung oder Garantie,
Haftungsgrenzen,
Bodengutachtenpflicht und
Vertragsrücktritt bei Täuschung.
Nur so lässt sich eine Balance zwischen Käufer- und Verkäuferinteressen schaffen.
Praktische Streitfelder & Angriffspunkte
1. Fehlende Offenlegung
Wird der Altlastenverdacht nicht erwähnt, liegt häufig eine arglistige Täuschung vor. Käufer sollten sämtliche Bauakten, Altstandortregister und Gutachten einsehen.
2. Unklare Vertragsklauseln
Pauschale Formulierungen („Haftung ausgeschlossen“) sind gefährlich. Nach BGH und OLG München (3) sind nur individuell ausgehandelte Vereinbarungen wirksam.
3. Mitverschulden durch unterlassene Untersuchung
Unterlässt der Käufer eine Untersuchung trotz klarer Verdachtsmomente, kann dies den Schadensersatz mindern (§ 254 BGB).
4. Behördenbescheide und Sofortvollzug
Wird der Käufer zur Sanierung verpflichtet, sollte er umgehend Widerspruch einlegen (§ 68 VwGO) und zugleich Regressansprüche gegen den Verkäufer sichern.
Handlungsempfehlungen & Strategien
Für Käufer
Bodengutachten vor Kauf: Frühzeitig beauftragen, idealerweise Phase-II-Untersuchung.
Transparenzpflicht erfüllen: Alle Kenntnisse offenlegen und dokumentieren.
Nachforschungspflicht beachten: Verdachtsmomente ernst nehmen.
Haftungsbegrenzung rechtssicher formulieren: Nur individuell verhandeln.
Für Notare
Belehrungspflichten: Über Risiken, Freistellungen und Gutachtenhinweise informieren.
Mitbeurkundungspflicht: Erwähnte Altlasten müssen in der Urkunde erscheinen.
Altlasten beim Grundstückskauf – Bodenuntersuchung, Haftung des Verkäufers und Sanierungspflichten klären.
Fazit
Altlasten und Bodenkontaminationen sind ein rechtliches Hochrisikofeld. Zivilrechtlich gilt: Wer verschweigt, haftet. Öffentlich-rechtlich gilt: Wer besitzt, zahlt. Käufer können sich schützen, indem sie Gutachten einholen, Verträge prüfen lassen und klare Haftungsregelungen vereinbaren. Verkäufer wiederum vermeiden Prozesse, wenn sie Verdachtsmomente offenlegen und transparent handeln. Im Zweifel entscheidet nicht der Vertrag, sondern das versteckte Risiko im Boden.
(Fundstellen: (1) LG Flensburg 17.04.2014 – 2 O 36/13 · (2) BGH 21.07.2017 – V ZR 250/15 · (3) OLG München 09.01.2019 – 20 U 1016/18 · (4) OLG Celle 21.08.2008 – 8 U 49/08 · (5) BGH 30.11.2012 – V ZR 25/12 · (6) OLG München 13.02.2013 – 7 U 2616/12 · (7) BBodSchG § 4 · (8) Schwartmann, Bodenschutzrecht 2025 · (9) Reuter, BB 1989, 652 · (10) OLG Stuttgart 23.11.2010 – 12 U 109/10 · (11) OLG Hamm 10.09.2012 – 22 U 67/11 · (12) Groth/Zimmermann 2013 · (13) Hahn 2018)
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