Kündigung wegen Schriftformverstoß – Recht, Risiko, Rendite

Verfasst von
Max Hortmann
28 Oct 2025
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Kündigung wegen Schriftformverstoß – Recht, Risiko, Rendite

Einleitung

Ein Verstoß gegen die Schriftform ist mehr als eine Formalie – er kann über Bestand oder Ende eines Mietverhältnisses entscheiden. Nach § 550 BGB wird ein langfristig vereinbarter Vertrag bei Formmängeln zum unbefristeten Mietverhältnis, das jede Partei ordentlich kündigen kann.
Diese rechtliche Sprengkraft wird häufig unterschätzt. Mieter nutzen Schriftformfehler, um sich aus langjährigen Bindungen zu lösen, während Vermieter versuchen, unvorteilhafte Verträge zu beenden oder neu zu verhandeln.
Doch das Instrument ist riskant: Wer sich auf den Formmangel beruft, kann treuwidrig handeln, wenn er zuvor selbst vom Vertragsbestand profitiert hat oder Investitionen der Gegenseite bewusst in Kauf nahm.

Der Beitrag zeigt, wann eine Kündigung wegen Schriftformverstoßes zulässig, wann sie treuwidrig und wann sie wirtschaftlich strategisch sinnvoll ist.

Rechtlicher Rahmen: § 550 BGB und seine Funktion

Das Schriftformerfordernis des § 550 BGB schützt den Erwerber eines Grundstücks:
Er soll die Rechte und Pflichten aus langfristigen Mietverträgen erkennen können, ohne auf mündliche Nebenabreden angewiesen zu sein. Zugleich dient die Vorschrift als Warn- und Beweisfunktion für die Parteien.

Wird die Schriftform verletzt – etwa durch fehlende Unterschriften, nicht beigefügte Anlagen oder unklare Nachträge –, bleibt der Vertrag zwar wirksam, ist aber ordentlich kündbar.
Diese ordentliche Kündbarkeit gilt für beide Seiten. Ein Mietvertrag, der auf zehn Jahre geschlossen wurde, kann plötzlich mit gesetzlicher Frist beendet werden (§ 580 a BGB).

Der BGH (XII ZR 312/02) und die Literatur (Aufderhaar/Jaeger, ZfIR 2010, 117) betonen: Das Risiko eines Schriftformfehlers liegt bei beiden Parteien gleichermaßen – die Kündigung kann zum wirtschaftlichen Werkzeug oder zur juristischen Falle werden.

Der Schriftformverstoß als Kündigungsgrund

In der Praxis wird der Formverstoß oft gezielt gesucht.
Investoren oder Mieter prüfen, ob der Vertrag formwidrig ist, um sich vorzeitig zu lösen. Typische Fehlerquellen sind:

  • fehlende oder unklare Bezugnahme auf Anlagen;
  • fehlende Unterzeichnung durch berechtigte Vertreter;
  • nachträgliche Änderungen per E-Mail oder ohne Nachtrag;
  • widersprüchliche Flächen- oder Preisregelungen.

Liegt ein solcher Mangel vor, kann der Vertrag mit gesetzlicher Frist gekündigt werden, auch wenn die Parteien ursprünglich eine zehn- oder fünfzehnjährige Bindung vereinbart hatten.
Das bedeutet: Ein einziger formaler Fehler genügt, um ein wirtschaftlich bedeutendes Mietverhältnis aufzulösen.

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Digitale Vertragsmappe mit hervorgehobener Kündigungsklausel – Symbol für die Nutzung von Schriftformmängeln als strategisches Instrument im Gewerbemietrecht.

Treuwidrigkeit der Berufung auf den Formmangel

Die Rechtsprechung hat allerdings Grenzen gezogen.
Nach ständiger Linie des BGH kann die Berufung auf den Schriftformmangel treuwidrig (§ 242 BGB) sein, wenn sie zu einem „schlechthin untragbaren Ergebnis“ führt.

Das Schleswig-Holsteinische OLG (12 U 56/23) entschied, dass eine Kündigung treuwidrig war, weil die Pächterin einer Tankstelle erhebliche Investitionen getätigt hatte, auf den langfristigen Bestand vertraute und die Kündigung nur aus taktischen Gründen erfolgte.

Treuwidrigkeit setzt jedoch besondere Umstände voraus:

  • überdurchschnittliche Investitionen im Vertrauen auf Vertragssicherheit;
  • bewusstes Ausnutzen eines eigenen Formfehlers;
  • widersprüchliches Verhalten („venire contra factum proprium“).

In der Regel bleibt die Berufung auf den Formmangel zulässig. Nur in Ausnahmefällen wird sie als rechtsmissbräuchlich gewertet.

Unwirksamkeit von Schriftformheilungsklauseln

Viele Mietverträge enthalten sogenannte Schriftformheilungsklauseln, die vorsehen, dass Formfehler durch Nachtrag oder Ergänzung automatisch geheilt werden.
Der BGH (Urteil v. 27. 09. 2017 – XII ZR 114/16) hat solche Klauseln für unwirksam erklärt.

Begründung:
§ 550 BGB ist zwingendes Recht; Parteien können die gesetzliche Kündbarkeit nicht durch private Vereinbarung ausschließen.
Eine Heilungsklausel widerspricht der gesetzlichen Intention und entfaltet keine Bindungswirkung.

Damit bleibt der Schriftformverstoß auch dann bestehen, wenn die Parteien vereinbaren, „etwaige Formmängel gemeinsam zu korrigieren“. Nur eine tatsächliche neue Unterzeichnung in ordnungsgemäßer Form kann den Fehler heilen.

Kündigung in der Praxis – Risiko oder Chance?

In der Praxis ist die Kündigung wegen Schriftformverstoßes ein scharfes Schwert – aber mit Rückschlaggefahr.

Für Mieter:

  • Chance, sich aus überteuerten oder unflexiblen Mietverträgen zu lösen.
  • Risiko, Schadensersatzansprüche aus treuwidriger Kündigung zu provozieren.

Für Vermieter:

  • Möglichkeit, alte Verträge an Marktpreise anzupassen.
  • Gefahr, Vertrauen und Reputation zu verlieren, wenn die Kündigung opportunistisch wirkt.

Gerichte prüfen streng, ob die Kündigung zeitnah nach Entdeckung des Formmangels ausgesprochen wurde.
Wer jahrelang die Vorteile des Vertrags nutzt und erst bei ungünstiger Marktlage kündigt, handelt meist treuwidrig.

Fallbeispiele aus der Rechtsprechung

  1. Tankstellenpacht (OLG Schleswig, 12 U 56/23):
    Die Verpächterin kündigte nach Jahren unter Hinweis auf einen Schriftformfehler, um bessere Konditionen zu erzielen. Das Gericht sah darin Rechtsmissbrauch: Die Kündigung sei treuwidrig, da sie erst nach gescheiterten Verhandlungen ausgesprochen wurde.
  2. Gewerberaummiete (BGH XII ZR 114/16):
    Hier bestätigte der BGH die Wirksamkeit der Kündigung, weil keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen. Die Berufung auf den Mangel sei zulässig, auch wenn beide Parteien die Vertragslage kannten.
  3. Langfristiger Mietvertrag (ZfIR 2010, 321):
    Der BGH stellte klar, dass selbst bewusste Schriftformfehler nicht zum Bestandsschutz führen. Die Schriftform soll Dritte schützen, nicht die Vertragsparteien.

Diese Beispiele zeigen: Kündigung wegen Schriftformverstoß ist legitim, aber kein Automatismus.

Strategische Bewertung

Eine Kündigung auf Basis des Schriftformverstoßes ist ein Verhandlungstool – kein Selbstzweck.
Sie kann gezielt eingesetzt werden, um Mietkonditionen neu zu strukturieren oder Ausstiegsmöglichkeiten zu schaffen.

Voraussetzung:
Die Kanzlei prüft vorab, ob

  • der Mangel eindeutig belegbar ist,
  • keine Treuwidrigkeitstatbestände vorliegen,
  • die wirtschaftlichen Folgen (Investitionen, Rückbau, Haftung) kalkulierbar sind.

In der Beratungspraxis bietet es sich an, zwei Strategien zu kombinieren:

  1. Defensiv: Prüfung und Nachbesserung bestehender Verträge, um Kündigungsrisiken zu vermeiden.
  2. Offensiv: Identifikation von Formmängeln zur Eröffnung neuer Verhandlungsspielräume.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

  1. Vertragsprüfung: Alle Langzeitverträge auf formgerechte Unterschrift, Anlagenbindung und Nachtragsgestaltung prüfen.
  2. Dokumentation: Schriftform-Checklisten und Signaturkontrollen implementieren.
  3. Timing: Kündigungen nur zeitnah nach Feststellung des Formmangels aussprechen.
  4. Kommunikation: Kündigungen sachlich begründen, um Treuwidrigkeitsvorwürfe zu vermeiden.
  5. Nachbesserung: Bestehende Verträge in ordnungsgemäßer Schriftform erneuern oder ergänzen.

Ökonomische Bedeutung und Mandatsnutzen

Für Kanzleien ist die Schriftformkündigung ein hochprofitables Beratungsfeld.
Sie erfordert technisches Vertragsverständnis, strategische Kommunikation und wirtschaftliche Weitsicht.

Für Mandanten bietet sie:

  • strategische Optionen zur Vertragsauflösung;
  • Schutz vor ungewollter Bindung;
  • Möglichkeit, Marktpreise neu zu verhandeln.

Für Berater bedeutet sie:

  • wiederkehrende Prüfmandate (Portfolioprüfung, Due Diligence);
  • Mandantenbindung durch präventive Vertragsoptimierung.

Die Kunst liegt darin, die rechtliche Hebelwirkung des § 550 BGB wirtschaftlich zu übersetzen – und Risiken zu kontrollieren, bevor sie eskalieren.

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Fazit

Die Kündigung wegen Schriftformverstoß ist ein zweischneidiges Schwert:
Juristisch eindeutig, wirtschaftlich gefährlich.
Sie eröffnet neue Verhandlungsspielräume, kann aber auch Reputationsschäden oder Prozessrisiken auslösen.

Nur wer rechtzeitig prüft, sauber dokumentiert und strategisch handelt, nutzt § 550 BGB als Werkzeug statt als Stolperfalle.

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Fazit & Kontakt
Die Schriftform ist mehr als Formalie – sie ist ein juristisches Werkzeug.
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Max Hortmann
Rechtsanwalt
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