Überbau und Grenzbebauung – was tun, wenn der Nachbar zu weit gebaut hat?

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10 Nov 2025
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Überbau und Grenzbebauung – was tun, wenn der Nachbar zu weit gebaut hat?

Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Frankfurt am Main – Vertragsautor jurisAZO-ITR / PR-ITR

Wenn die Grenze verschwimmt

Es beginnt oft unscheinbar: Eine Garage steht ein Stück zu weit auf dem Nachbargrundstück, ein Dachvorsprung ragt über die Linie oder die neue Wärmedämmung reicht ein paar Zentimeter über die Grenze hinaus. Doch rechtlich sind diese Zentimeter entscheidend.

Der Überbau ist einer der häufigsten, aber zugleich kompliziertesten Nachbarschaftskonflikte. Für Eigentümer stellt sich die Frage: Muss ich den Überbau dulden, kann ich Rückbau verlangen oder habe ich Anspruch auf Entschädigung?

Dieser Beitrag erklärt praxisnah, welche Rechte und Pflichten Eigentümer bei einem Überbau haben, wie man sich richtig verhält und wann sich ein Gang zum Anwalt lohnt.

Rechtliche Grundlage: § 912 BGB – Überbau und Duldungspflicht

Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt im § 912 BGB, was passiert, wenn ein Gebäude oder ein Gebäudeteil über die Grundstücksgrenze hinaus ragt.

Ein sogenannter Überbau liegt vor, wenn ein Bauwerk auf dem Nachbargrundstück steht, ohne dass der Bauherr dazu berechtigt ist. Das kann absichtlich oder unbeabsichtigt geschehen – und genau davon hängt die Rechtsfolge ab.

Wann besteht eine Duldungspflicht?

1. Kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit

Ein Überbau ist zu dulden, wenn der Bauende nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.
Das bedeutet: Er darf die Grenze nicht bewusst überschritten haben, sondern muss einem nachvollziehbaren Irrtum unterlegen sein – etwa durch einen Vermessungsfehler oder falsche Katasterdaten.

Wer dagegen bewusst „ein Stück auf Nachbars Grund“ baut, kann sich nicht auf § 912 BGB berufen – dann droht Rückbau auf eigene Kosten.

2. Kein rechtzeitiger Widerspruch

Der betroffene Nachbar muss den Überbau rechtzeitig beanstanden.
Sieht er, dass der Neubau über die Grenze ragt, und schweigt, obwohl er handeln könnte, gilt das als stillschweigende Duldung.

Deshalb sollten Sie bei Bauarbeiten an der Grenze stets aufmerksam bleiben – und rechtzeitig reagieren, bevor Fakten geschaffen werden.

Ihre Rechte als betroffener Nachbar

1. Anspruch auf Beseitigung

Liegt keine Duldungspflicht vor, können Sie den Rückbau verlangen.
Das gilt insbesondere, wenn der Bauherr bewusst oder grob fahrlässig gebaut hat oder Sie rechtzeitig widersprochen haben.

Der Rückbauanspruch ergibt sich aus § 1004 BGB (Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch) – er ist der klassische Weg, um Eigentumsverletzungen abzuwehren.

2. Anspruch auf Entschädigung

Müssen Sie den Überbau dulden, steht Ihnen eine Entschädigung in Geld zu.
Diese sogenannte Überbaurente orientiert sich am Verkehrswert des überbauten Grundstücksteils zum Zeitpunkt der Grenzüberschreitung.

Sie können mit dem Nachbarn eine einmalige Abfindung oder eine jährliche Zahlung vereinbaren.
Ziel ist ein gerechter Ausgleich dafür, dass Ihr Eigentum dauerhaft beeinträchtigt bleibt.

3. Anspruch auf Unterlassung

Auch wenn Sie den bestehenden Überbau dulden müssen, können Sie verhindern, dass künftig weitere Teile Ihres Grundstücks in Anspruch genommen werden.

Ein gerichtlicher Unterlassungsanspruch sichert, dass der Bauherr den Zustand nicht weiter verschlechtert.

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Sonderfälle aus der Praxis

Überbau durch Wärmedämmung oder Balkone

In modernen Bauprojekten führen Energie- oder Sanierungsmaßnahmen häufig zu minimalen Grenzüberschreitungen – etwa durch Wärmedämmung oder Balkonerweiterungen.

In einigen Bundesländern (z. B. NRW) erlauben Nachbarrechtsgesetze unter engen Voraussetzungen solche Überbauten, wenn sie energetisch sinnvoll und zumutbar sind. Der Nachbar erhält dafür eine angemessene Entschädigung.

Trotzdem sollten Bauherren immer vorher eine schriftliche Vereinbarung treffen. Schon wenige Zentimeter können später teuer werden.

Überbau nach Grundstücksteilung

Wird ein Grundstück geteilt, auf dem ein Haus bereits über die neue Grenze ragt, gilt der frühere Eigentümer als Überbauender. Auch hier kann § 912 BGB Anwendung finden. Der neue Eigentümer des überbauten Grundstücks muss die Nutzung grundsätzlich dulden, erhält aber eine Entschädigung.

Nachträgliche Anbauten

Wenn ein Anbau erst Jahre später entsteht und über die Grenze reicht, wird genau geprüft, ob der Nachbar hätte widersprechen können. Liegt kein Widerspruch vor, kann die Duldungspflicht greifen – andernfalls droht Abriss.

So gehen Sie richtig vor

1. Vermessung prüfen

Lassen Sie bei jedem Bau an der Grenze die exakten Grenzpunkte amtlich einmessen.
Fehler bei der Vermessung sind die häufigste Ursache für Überbauten – und lassen sich mit einem Vermessungsingenieur leicht vermeiden.

2. Nachbar informieren

Bevor Sie eine Garage, Mauer oder Dämmung errichten, informieren Sie Ihren Nachbarn schriftlich.
Eine transparente Kommunikation kann spätere Konflikte vermeiden.

3. Bei bestehendem Überbau: Sachlich bleiben

Wenn Sie feststellen, dass der Nachbar über die Grenze gebaut hat: Bewahren Sie Ruhe.
Fordern Sie ihn schriftlich auf, den Zustand zu klären, und setzen Sie eine Frist zur Stellungnahme.
Erst danach sollten Sie anwaltliche Schritte prüfen.

4. Gutachten einholen

Bei strittigen Fällen empfiehlt sich ein Vermessungsgutachten.
Ein öffentlich bestellter Vermessungsingenieur kann zweifelsfrei feststellen, ob ein Überbau vorliegt und wie groß die betroffene Fläche ist.

Gerichtliche Möglichkeiten

Wenn keine Einigung gelingt, können Sie Ihre Rechte gerichtlich durchsetzen.

  • Beseitigungsklage: Ziel ist der Rückbau des überbauten Teils.
  • Feststellungsklage: Dient dazu, die Eigentumsverhältnisse und den Grenzverlauf rechtsverbindlich feststellen zu lassen.
  • Entschädigungsklage: Wird erhoben, wenn Sie den Überbau dulden, aber eine angemessene Überbaurente einfordern möchten.

Gerichte versuchen häufig, Vergleiche zu fördern, weil eine praktische Lösung meist beiden Seiten mehr bringt als ein vollständiger Rückbau.

Verjährung und Verwirkung

Rückbau- oder Entschädigungsansprüche können nach Jahren verwirkt oder verjährt sein, insbesondere, wenn Sie den Überbau lange Zeit hingenommen haben.

Wer jahrelang schweigt, obwohl die Grenzüberschreitung sichtbar ist, verliert meist den Rückbauanspruch.
Daher gilt: Frühzeitig reagieren!

Präventive Lösungen und Vertragspraxis

Die sicherste Lösung für beide Seiten ist eine nachbarschaftliche Vereinbarung.

Diese sollte regeln:

  • Duldung des Überbaus
  • genaue Beschreibung der betroffenen Fläche
  • Höhe der Entschädigung
  • Haftung für künftige Schäden
  • eventuelle Grundbucheintragung (Dienstbarkeit)

Eine solche Vereinbarung schafft Rechtssicherheit und vermeidet spätere Prozesse.

Häufige Fragen

Muss ich einen Überbau immer dulden?
Nein. Nur, wenn er ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit entstand und Sie nicht rechtzeitig widersprachen.

Wie hoch ist die Entschädigung?
Sie richtet sich nach dem Bodenwert des überbauten Teils zum Bauzeitpunkt. Eine einmalige Zahlung ist üblich.

Kann ich den Überbau im Grundbuch eintragen lassen?
Ja, über eine Grunddienstbarkeit, die das Recht des Bauherrn dokumentiert. Das schafft Sicherheit bei Verkauf oder Erbfolge.

Darf ich selbst Teile abreißen, die auf mein Grundstück ragen?
Nein. Eigenmächtiges Handeln kann Schadensersatzpflicht auslösen. Zuerst schriftlich abmahnen, dann ggf. gerichtliche Schritte einleiten.

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Fazit: Klarheit schaffen, bevor Mauern fallen

Ein Überbau ist mehr als ein Zentimeterproblem – er berührt das Eigentumsrecht in seinem Kern.
Wer rechtzeitig Vermessung, Kommunikation und Dokumentation ernst nimmt, vermeidet teure Konflikte.

Liegen bereits Grenzverletzungen vor, sollten Sie sich anwaltlich beraten lassen, bevor Sie handeln.
So sichern Sie Ihr Eigentum, vermeiden Haftungsrisiken und wahren den Nachbarschaftsfrieden.

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