Überhängende Äste – wann darf man sie abschneiden?

Verfasst von
Max Hortmann
10 Nov 2025
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Überhängende Äste – Rechte und Pflichten von Nachbarn

Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Frankfurt am Main – Vertragsautor jurisAZO-ITR / PR-ITR

Wenn der Baum des Nachbarn über die Grenze wächst

Überhängende Äste gehören zu den häufigsten Ursachen für Nachbarschaftsstreitigkeiten in Deutschland. Ob auf dem Land oder in der Stadt – kaum ein Thema entzündet so viele Diskussionen wie die Frage, wer für überhängende Zweige verantwortlich ist und wann man sie abschneiden darf.

Fallen Blätter in die Dachrinne, dringt Schatten in den Garten oder drohen dicke Äste die Fassade zu beschädigen, fühlen sich Eigentümer schnell beeinträchtigt. Doch zwischen dem Ärger und der tatsächlichen Rechtslage liegen oft Welten.

Dieser Beitrag erklärt verständlich, wann Sie selbst zur Schere greifen dürfen, wann Sie lieber abwarten sollten und welche Pflichten der Baumeigentümer hat. Ziel ist, Konflikte frühzeitig zu vermeiden und Ihre Rechte rechtssicher wahrzunehmen.

Rechtliche Grundlage: § 910 BGB – das Selbsthilferecht

Das deutsche Nachbarrecht kennt mit § 910 BGB eine klare Regelung für solche Fälle:
Werden durch Zweige oder Wurzeln eines Baumes die Nutzung des Nachbargrundstücks beeinträchtigt, darf der betroffene Eigentümer diese abschneiden und behalten – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Das Gesetz spricht vom sogenannten Selbsthilferecht. Es erlaubt, dass Sie als Grundstückseigentümer selbst handeln dürfen, ohne gerichtlichen Beschluss. Gleichzeitig verpflichtet es Sie, fair und verhältnismäßig vorzugehen.

Dieses Gleichgewicht aus Rechten und Pflichten ist entscheidend: Sie dürfen Ihr Eigentum schützen, müssen aber Rücksicht auf die Vegetation und die Rechte Ihres Nachbarn nehmen.

Voraussetzung 1: Frist zur Beseitigung setzen

Bevor Sie handeln, müssen Sie dem Nachbarn eine angemessene Frist zur Entfernung der überhängenden Äste setzen. Das ist keine bloße Formalität – sie ist zwingende Voraussetzung.

Formulieren Sie Ihr Schreiben sachlich und eindeutig:

  • Benennen Sie den betroffenen Baum oder Strauch.
  • Beschreiben Sie, welche Beeinträchtigung besteht (z. B. Schattenwurf, Laubfall, Gefahr).
  • Setzen Sie eine konkrete Frist (meist zwei bis vier Wochen).

Verstreicht die Frist ergebnislos, dürfen Sie die Zweige selbst zurückschneiden. Ohne Fristsetzung wäre Ihr Vorgehen rechtlich angreifbar – selbst dann, wenn objektiv eine Beeinträchtigung besteht.

Ein kurzer Hinweis genügt nicht. Halten Sie die Aufforderung schriftlich und nachweisbar fest (z. B. per Einwurf-Einschreiben). So sichern Sie sich Beweise, falls es später zum Streit kommt.

Voraussetzung 2: Beeinträchtigung muss tatsächlich vorliegen

Das Selbsthilferecht greift nur, wenn die überhängenden Zweige die Nutzung Ihres Grundstücks beeinträchtigen.

Typische Beispiele sind:

  • Verstopfte Dachrinnen oder Wasserläufe durch Laub oder Nadeln
  • Verschattungen, die Pflanzen oder Solarzellen beeinträchtigen
  • Schäden an Dach, Zaun oder Fassade durch Reibung oder Astdruck
  • Sicherheitsgefahr durch herabfallende Äste

Kleine Unannehmlichkeiten – etwa einige herabgefallene Blätter – reichen nicht. Die Beeinträchtigung muss spürbar und objektiv sein.

Die Gerichte stellen dabei auf den „verständigen Durchschnittsmenschen“ ab. Was in dicht bebauten Wohngebieten noch als zumutbar gilt, kann auf einem Einfamiliengrundstück schon störend sein.

Voraussetzung 3: Naturschutz und Baumschutz beachten

Selbst wenn das Selbsthilferecht besteht, dürfen Sie nicht gegen naturschutzrechtliche Vorgaben verstoßen.

Baumschutzsatzungen

Viele Städte und Gemeinden haben eigene Baumschutzsatzungen. Sie schreiben vor, ab welchem Stammumfang oder Alter ein Baum unter Schutz steht. Ein Eingriff darf dann nur mit Genehmigung erfolgen – auch auf dem eigenen Grundstück.

Brut- und Schonzeit

Nach dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 39 Abs. 5) ist der radikale Rückschnitt von Bäumen zwischen 1. März und 30. September verboten. In dieser Zeit dürfen nur Pflegeschnitte erfolgen, die keine brütenden Vögel stören.

Landschaftsschutzgebiete

Steht Ihr Grundstück in einem Landschaftsschutzgebiet oder in unmittelbarer Nähe eines Gewässers, können zusätzliche Genehmigungspflichten bestehen.

Fazit: Prüfen Sie vor jedem Eingriff, ob örtliche Regelungen oder Schutzzeiten entgegenstehen. Verstöße können Bußgelder in Höhe von mehreren Tausend Euro nach sich ziehen.

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Was tun, wenn der Baum geschädigt wird?

Ein häufiger Irrtum: Viele glauben, man dürfe Äste nur abschneiden, wenn der Baum dadurch keinen Schaden nimmt.

Tatsächlich ist das nicht korrekt. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt: Selbst wenn der Baum durch den Rückschnitt an Standfestigkeit verliert oder abstirbt, bleibt das Selbsthilferecht bestehen.

Der Grundgedanke: Der Baumeigentümer trägt das Risiko, wenn er seine Pflanzen nicht regelmäßig pflegt. Ragen Zweige auf fremden Grund, ist er verantwortlich, diesen Zustand zu vermeiden.

Wichtig ist nur, dass Sie nicht mehr abschneiden als nötig. Entfernen Sie ausschließlich die überhängenden Teile – alles andere wäre unzulässig und könnte als Sachbeschädigung gewertet werden.

Grenzen des Selbsthilferechts

Das Gesetz schützt Sie, aber es erlaubt keine Willkür. Folgende Grenzen sind unbedingt zu beachten:

1. Nur auf Ihrem Grundstück schneiden

Sie dürfen nur das entfernen, was physisch auf Ihr Grundstück hineinragt.
Schneiden Sie auf der anderen Seite der Grenze, begehen Sie eine Eigentumsverletzung.

2. Keine Gefahr für den Baum

Auch wenn das Selbsthilferecht weit geht, sollten Sie fachgerecht vorgehen. Unsachgemäße Schnitte, die den Baum instabil machen, können zu Haftungsansprüchen führen. Im Zweifel besser eine Fachfirma beauftragen.

3. Kein eigenmächtiger Zugang zum Nachbargrundstück

Das Betreten des Nachbargrundstücks, um von dort aus zu schneiden, ist nicht erlaubt – auch dann nicht, wenn Sie den Überhang sonst nicht erreichen. Fehlt die Zustimmung, droht der Vorwurf des Hausfriedensbruchs.

4. Keine Überschreitung des notwendigen Maßes

Schneiden Sie nur so weit, wie die Beeinträchtigung beseitigt werden muss. Wer den ganzen Baum stutzt oder „gleich mit aufräumt“, riskiert eine Schadensersatzforderung.

Beweisführung und Dokumentation

Da Nachbarschaftsstreitigkeiten oft vor Gericht enden, sollten Sie frühzeitig Beweise sichern.

  • Fotografieren Sie den Überhang aus verschiedenen Perspektiven.
  • Notieren Sie Datum, Ausmaß und Folgen (z. B. verschmutzte Dachrinne).
  • Dokumentieren Sie Ihre Fristsetzung.
  • Ziehen Sie im Idealfall Zeugen hinzu.

So können Sie belegen, dass Ihr Vorgehen verhältnismäßig und rechtmäßig war.

Schadensersatz und Haftung

Wann haftet der Baumeigentümer?

Wenn der Baum bereits Schäden verursacht hat – etwa durch herabfallende Äste oder Wurzeln, die Pflaster oder Rohre beschädigen – haftet der Eigentümer nach § 823 BGB.

Voraussetzung: Er hat seine Verkehrssicherungspflichten verletzt, also nicht ausreichend kontrolliert und gepflegt.

Wann haften Sie selbst?

Überschreiten Sie Ihr Selbsthilferecht (z. B. indem Sie zu viel schneiden oder den Baum erheblich schädigen), können Sie selbst schadensersatzpflichtig werden.

Gerichte haben bereits entschieden, dass für zerstörte Bäume Ersatz in Höhe des Baumwerts verlangt werden kann – je nach Größe und Art mehrere tausend Euro.

Kommunikation statt Eskalation

So nachvollziehbar der Ärger über überhängende Äste ist – in der Praxis lassen sich viele Konflikte durch Kommunikation vermeiden.

Sprechen Sie frühzeitig mit dem Nachbarn. Häufig weiß er gar nicht, dass seine Bäume Probleme bereiten. Eine sachliche Bitte um Rückschnitt wirkt oft mehr als ein formelles Schreiben.

Falls das Gespräch scheitert, hilft ein Schiedsmann oder eine Mediation, bevor Anwälte und Gerichte eingeschaltet werden. In einigen Bundesländern (z. B. NRW, Hessen, Baden-Württemberg) ist eine außergerichtliche Schlichtung ohnehin vorgeschrieben, bevor man klagt.

Praktische Tipps für Grundstückseigentümer

  • Regelmäßig kontrollieren: Überprüfen Sie mindestens einmal im Jahr, ob Pflanzen auf Ihrem Grundstück über die Grenze wachsen.
  • Pflegepflicht beachten: Der Eigentümer des Baumes ist verpflichtet, seinen Bewuchs so zu unterhalten, dass keine Beeinträchtigung entsteht.
  • Fristen schriftlich setzen: Keine Handlung ohne nachweisbare Aufforderung.
  • Schonzeit beachten: Zwischen März und September keine radikalen Rückschnitte.
  • Fachgerechter Schnitt: Lassen Sie bei großen Bäumen einen Baumpfleger ran.
  • Beweise sichern: Fotos, Zeugen und Schriftwechsel sorgfältig archivieren.

Nachbarrechtliche Besonderheiten in den Bundesländern

Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt nur den Grundsatz (§ 910 BGB). Viele Details sind in den Landesnachbarrechtsgesetzen festgelegt. Dort finden sich auch Regelungen zu Grenzabständen, Heckenhöhen und Bepflanzungspflichten.

Beispiel:

  • In Bayern oder Baden-Württemberg sind Hecken und Bäume an der Grenze gesondert geregelt.
  • In Nordrhein-Westfalen können Nachbarn nach Jahren des Stillhaltens Rechte verlieren (Verjährung oder Verwirkung).
  • In Berlin gilt eine spezielle Regelung zum Rückschnitt alter Grenzhecken.

Wer rechtssicher handeln will, sollte daher immer das Landesrecht prüfen.

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Fazit: Selbsthilfe mit Augenmaß

Überhängende Äste sind lästig, aber sie berechtigen nicht zu vorschnellen Aktionen. Das Selbsthilferecht nach § 910 BGB gibt Ihnen klare, aber begrenzte Möglichkeiten, sich zu wehren.

Handeln Sie überlegt:

  1. Nachbar informieren und Frist setzen.
  2. Nur überhängende Zweige auf dem eigenen Grundstück entfernen.
  3. Naturschutz beachten.
  4. Eingriffe dokumentieren.

So schützen Sie Ihre Rechte, ohne unnötig Streit oder Haftungsrisiken zu provozieren.

Wer diese Grundsätze beherzigt, wahrt nicht nur seine Interessen, sondern trägt auch zu einem besseren nachbarschaftlichen Miteinander bei – und genau darum geht es im modernen Nachbarrecht: Eigentum schützen, Frieden wahren.

🔗 Cluster: Immobilien- und Nachbarschaftsrecht

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Max Hortmann
Rechtsanwalt
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