Baumängel am Nachbarhaus – wann haftet der Bauherr?
Verfasst von
Max Hortmann
10 Nov 2025
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Baumängel am Nachbarhaus – wann haftet der Bauherr?
Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Frankfurt am Main – Vertragsautor jurisAZO-ITR / PR-ITR
Wenn das Bauvorhaben nebenan zum Albtraum wird
Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück gehören zum Alltag – neue Anbauten, Keller, Sanierungen oder Garagen entstehen überall. Doch was, wenn der eigene Garten plötzlich absackt, Risse durch die Wand laufen oder die Terrasse sich hebt, weil nebenan ein Bagger zu tief gräbt?
Solche Baumängel mit Folgeschäden beim Nachbarn sind kein seltenes Ärgernis. Häufig schieben sich Bauherr, Architekt, Unternehmer und Gutachter gegenseitig die Schuld zu. Für Betroffene stellt sich die entscheidende Frage: Wer haftet und wie bekommt man seinen Schaden ersetzt?
Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen der Nachbarhaftung bei Baumängeln, die Pflichten des Bauherrn und zeigt, wie Sie Ihre Ansprüche erfolgreich sichern.
Der rechtliche Ausgangspunkt
Grundlage ist das Zusammenspiel aus zivilrechtlicher Haftung (§ 823 BGB), dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog) und der sogenannten Verkehrssicherungspflicht des Bauherrn. Dazu kommt § 909 BGB, der das Entziehen des Stützraums ausdrücklich verbietet.
§ 823 BGB – Schadensersatzpflicht bei schuldhaftem Verhalten
Der Bauherr haftet, wenn durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten das Eigentum oder sonstige Rechte des Nachbarn verletzt werden. Das umfasst Schäden durch:
unsachgemäße Bauausführung,
fehlerhafte Bauplanung,
mangelnde Überwachung von Handwerkern,
oder den Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Sicherheitsvorschriften.
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt – etwa, wenn bei Tiefbauarbeiten keine statische Sicherung erfolgt.
§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog – Ausgleich ohne Verschulden
Nicht jeder Schaden setzt Verschulden voraus. Wenn ein Bauvorhaben rechtmäßig, aber unvermeidbar Einwirkungen auf das Nachbargrundstück ausübt, kann der Geschädigte einen finanziellen Ausgleich verlangen. Dieser nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gleicht den Schaden aus, auch wenn niemand „schuld“ ist – etwa bei Setzungen, die trotz Einhaltung aller Normen auftreten.
§ 909 BGB – Entzug des Stützraums
Wer durch Bauarbeiten dem Nachbargrundstück den notwendigen Halt entzieht, haftet auch ohne Verschulden. Diese Norm gilt besonders bei Ausschachtungen, Unterfangungen oder Fundamentarbeiten nahe der Grenze.
Verkehrssicherungspflichten des Bauherrn
Der Bauherr trägt die oberste Verantwortung für Sicherheit und Sorgfalt auf seiner Baustelle. Er muss dafür sorgen, dass Dritte – insbesondere Nachbarn – nicht gefährdet oder geschädigt werden.
Das umfasst insbesondere:
Bauüberwachung: Kontrolle, dass Bauunternehmen Schutzmaßnahmen einhalten.
Er haftet vertraglich und deliktisch, wenn er Bauarbeiten initiiert und nicht für ausreichende Sicherung sorgt. Auch wenn er Firmen einschaltet, bleibt er verantwortlich – die Haftung ist nicht vollständig delegierbar.
2. Das Bauunternehmen
Handwerks- und Tiefbaufirmen haften nach § 823 BGB für Fehler in der Ausführung (falsche Maschinen, zu tiefe Gruben, ungesicherte Rüttelplatten).
3. Architekt und Statiker
Sie haften, wenn die Planung mangelhaft ist oder Kontrollpflichten verletzt werden (z. B. falsche Fundamenttiefe).
4. Öffentliche Hand
Bei kommunalen Bauprojekten können auch Gemeinden oder Landesbehörden in Anspruch genommen werden – dann greift das Staatshaftungsrecht.
In der Praxis haften oft mehrere gemeinsam (Gesamtschuldner). Der Geschädigte kann sich aussuchen, wen er zuerst in Anspruch nimmt.
Typische Baumängel mit Nachbarschäden
Baumängel / UrsacheMögliche SchädenZu tiefe Ausschachtung / fehlende StützungSetzungsrisse in Hauswand, abgesackter BodenVibrationsarbeiten ohne SicherungHaarrisse, gelockerte FundamenteFehlende DrainageFeuchtigkeitsschäden im KellerUndichte Abdichtung / MörtelresteWassereintritt, SchimmelFalsches Gefälle bei PflasterarbeitenOberflächenwasser läuft auf NachbargrundstückBaustellenverkehrBodenverdichtung, beschädigte Zäune, Pflanzenzerstörung
Anspruchsgrundlagen im Detail
1. Schadensersatz nach § 823 BGB
Voraussetzungen:
Schaden am Nachbargrundstück,
rechtswidrige Handlung,
Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit).
Der Bauherr muss beweisen, dass er alle erforderlichen Sicherungsmaßnahmen getroffen hat. Kann er das nicht, haftet er vollumfänglich.
2. Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog
Wenn kein Verschulden nachweisbar ist, aber der Schaden durch das Bauvorhaben verursacht wurde, besteht Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Voraussetzung:
rechtmäßige Bautätigkeit,
wesentliche Beeinträchtigung,
Unvermeidbarkeit trotz technischer Vorsorge.
Beispiel: Ein Neubau führt trotz korrekter Gründung zu Setzungen beim Nachbarhaus. Kein Verschulden – aber Entschädigungspflicht.
3. Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch (§ 1004 BGB)
Bei fortdauernder Beeinträchtigung – etwa weiter eindringendem Wasser oder Lärm – kann der Nachbar Unterlassung oder Beseitigung verlangen.
4. Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG)**
Wenn die Bauaufsicht grob fehlerhaft arbeitet (z. B. fehlerhafte Genehmigung), kann auch der Staat haften.
Beweisführung – entscheidend für den Erfolg
In der Praxis scheitern viele Ansprüche an der Beweisfrage. Deshalb gilt: Beweise sichern, bevor der Schaden größer wird.
Beweissicherung vor Baubeginn
Fordern Sie den Bauherrn auf, ein gemeinsames Beweissicherungsverfahren durchzuführen. Ein unabhängiger Sachverständiger dokumentiert den Zustand Ihres Hauses vor Baubeginn (Fotos, Risspläne). So lassen sich spätere Schäden eindeutig zuordnen.
Beweissicherung nach Schadenseintritt
Sofort Fotos/Videos machen,
Datum und Umstände festhalten,
Nachbarn oder Zeugen benennen,
ggf. Privatgutachten einholen.
In komplexen Fällen empfiehlt sich das gerichtliche Beweissicherungsverfahren (§§ 485 ff. ZPO) – schnell, aber beweissicher.
Typische Streitfragen vor Gericht
Kausalität: Kam der Schaden wirklich von der Baustelle? → Gutachten erforderlich.
Verschulden: Wurden Schutzmaßnahmen unterlassen oder fehlerhaft ausgeführt?
Höhe des Schadens: Kosten für Sanierung, Wertminderung, Nutzungsausfall?
Mitverschulden: Hat der Geschädigte zu spät reagiert oder die Schäden verschlimmert?
Verjährung: Drei Jahre ab Kenntnis des Schadens (§ 195 BGB), bei Bauwerken oft verlängert (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Bauherrenschutz und Nachbarschaftspflichten
Für Bauherren:
Prüfen Sie vor Baubeginn die Statik angrenzender Gebäude.
Halten Sie Abstände und Grenzsicherungen ein.
Informieren Sie Nachbarn frühzeitig.
Beauftragen Sie qualifizierte Fachfirmen und Aufsicht.
Für Nachbarn:
Beobachten Sie Bauarbeiten – aber dokumentieren, nicht eskalieren.
Wenden Sie sich bei Verdacht auf Schäden sofort an den Bauherrn.
Holen Sie frühzeitig anwaltliche Beratung, bevor Fristen verstreichen.
Praxisfall
Ein Bauherr ließ auf einem Hanggrundstück eine Tiefgarage errichten. Bei den Aushubarbeiten wurde der Hang nicht ausreichend abgestützt. Das Nachbargrundstück rutschte ab – der Garten fiel 40 cm ab, das Gartenhaus verzog sich.
Der Nachbar verklagte den Bauherrn. Das Gericht stellte fest: Verstoß gegen § 909 BGB (Entzug des Stützraums) – verschuldensunabhängige Haftung. Der Bauherr musste die Sanierung und die Kosten für den Gutachter übernehmen (Gesamtschaden rund 38 000 €).
Das Urteil zeigt: Auch vermeintlich kleine Baustellen bergen hohe Risiken, wenn Sicherungen fehlen.
Versicherung und Haftungsdeckung
Jeder Bauherr sollte eine Bauherren-Haftpflichtversicherung abschließen. Sie deckt Personen-, Sach- und Vermögensschäden ab, die Dritte durch das Bauvorhaben erleiden.
Auch Handwerksfirmen benötigen Betriebshaftpflicht. Für Nachbarn bedeutet das: Schäden können oft über Versicherungen reguliert werden – schneller und unbürokratischer als vor Gericht.
Wichtig: Der Versicherer reguliert nur berechtigte Ansprüche. Unberechtigte Forderungen werden abgewehrt („passiver Rechtsschutz“).
Öffentlich-rechtliche Parallelen
Neben zivilrechtlichen Ansprüchen gibt es öffentlich-rechtliche Nachbarschutzinstrumente.
Bauordnungsrechtliche Nachbarrechte (z. B. Abstandsflächen, Standsicherheit).
Widerspruch gegen Baugenehmigung, wenn das eigene Grundstück beeinträchtigt wird.
Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten, falls keine Sicherung vorhanden ist.
Diese Wege sind wichtig, wenn Gefahren drohen, bevor der Schaden eintritt.
Mediation und außergerichtliche Einigung
In Nachbarschaftssachen ist eine gütliche Lösung oft sinnvoller als ein jahrelanger Prozess. Eine Mediation kann klären:
Schadensumfang,
Verantwortlichkeit,
und faire Kostenverteilung.
Viele Bundesländer schreiben ein Schlichtungsverfahren sogar vor, bevor Klage erhoben werden darf.
Risse durch Bauarbeiten, Nachbar informieren, Gutachten, Beweise, Versicherung, Rechte sichern
Fazit: Verantwortung endet nicht an der Grundstücksgrenze
Bauarbeiten bergen Risiken – und wer baut, trägt Verantwortung. Nachbarn müssen nicht dulden, dass ihr Eigentum durch Fahrlässigkeit oder unsachgemäße Arbeiten beschädigt wird.
Die Praxis zeigt: Frühzeitige Kommunikation, technische Sicherung und juristische Klarheit verhindern die meisten Konflikte. Kommt es dennoch zu Schäden, bietet das deutsche Nachbarrecht klare Wege:
Schadensersatz bei Verschulden,
Ausgleich bei rechtmäßiger, aber schädigender Bautätigkeit,
Unterlassung bei fortdauernder Störung.
Bauherren sollten daher nicht nur bauen, sondern rechtskonform bauen – im Interesse guter Nachbarschaft und eigener Absicherung.
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