Eigentumsgrenzen und Vermessungsfehler – wer trägt die Kosten?

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Baulärm und Schadensersatz – wann Sie Anspruch auf Ruhe haben
Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Frankfurt am Main – Vertragsautor jurisAZO-ITR / PR-ITR
Wenn die Baustelle zur Dauerbelastung wird
Presslufthammer, Betonmischer, LKW-Verkehr – wer schon einmal neben einer Baustelle gewohnt hat, weiß:
Baulärm ist mehr als nur lästig. Er kann den Alltag massiv beeinträchtigen, zu Schlafstörungen, Stress und finanziellen Verlusten führen.
Doch was viele nicht wissen: Auch Nachbarn haben klare Rechte auf Ruhe und Ausgleich.
Das Nachbarrecht erlaubt Bautätigkeit nur im Rahmen des Zumutbaren. Wird diese Grenze überschritten, entstehen Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche.
Dieser Beitrag erklärt praxisnah,
wann Baulärm hinzunehmen ist, wann Sie sich wehren dürfen und wie Sie eine Entschädigung durchsetzen.
Der rechtliche Rahmen – § 906 BGB und TA Lärm
Der Schutz vor Baulärm beruht auf § 906 BGB („Zuführung unwägbarer Stoffe“) und den Vorgaben der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm).
Nach § 906 Abs. 1 BGB muss ein Eigentümer Lärm nur dulden,
wenn er die Benutzung seines Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigt.
Ist die Beeinträchtigung wesentlich, ist sie nur zulässig, wenn sie ortsüblich und unvermeidbar ist.
Die TA Lärm konkretisiert diese unbestimmten Begriffe.
Sie legt Grenzwerte für zulässige Schallimmissionen fest – gestaffelt nach Gebietstyp:
GebietTag (6–22 Uhr)Nacht (22–6 Uhr)Reines Wohngebiet50–55 dB(A)35–40 dB(A)Mischgebiet60 dB(A)45 dB(A)Gewerbegebiet65 dB(A)50 dB(A)
Diese Richtwerte sind keine absoluten Verbote,
geben Gerichten aber eine feste Orientierung, ab wann eine unzumutbare Belastung vorliegt.
Wann ist Baulärm zumutbar – und wann nicht?
1. Zulässig: zeitlich begrenzte, notwendige Bauarbeiten
Bauarbeiten sind grundsätzlich erlaubt, wenn sie –
- nur werktags stattfinden (Montag bis Samstag, 7–20 Uhr),
- technisch unvermeidbar sind,
- die Dauer angemessen ist,
- und keine leiseren Verfahren möglich sind.
Kurzzeitiger Lärm (z. B. Estrichfräsen oder Bohrarbeiten) wird eher geduldet,
dauerhafte Lärmquellen (Generatoren, Rüttelplatten) eher nicht.
2. Unzulässig: nächtliche oder dauerhafte Geräusche
Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr gilt bundesweit.
Nachts darf grundsätzlich nicht gearbeitet werden – auch nicht „nur kurz“.
Auch ständige Wiederholung (z. B. wochenlanges Sägen oder Betonfräsen) kann unzumutbar werden,
selbst wenn sie tagsüber erfolgt.
3. Sonderfälle: dringende Bauarbeiten
Bei Gefahrenabwehr (z. B. Rohrbruch, Sturmschäden) dürfen Arbeiten auch außerhalb der Zeiten erfolgen.
Das gilt jedoch nur für kurzfristige Notmaßnahmen.

Wer haftet für übermäßigen Baulärm?
1. Der Bauherr
Als Veranlasser der Bauarbeiten haftet er zivilrechtlich nach § 1004 BGB und § 823 BGB.
Er trägt die Verantwortung, dass die Baustelle ordnungsgemäß organisiert und überwacht wird.
Lässt er exzessive Lärmquellen zu oder reagiert nicht auf Beschwerden, kann er auf Unterlassung oder Schadensersatz in Anspruch genommen werden.
2. Das Bauunternehmen
Führt die Firma Arbeiten unsachgemäß oder außerhalb erlaubter Zeiten durch,
haftet sie direkt aus Delikt (§ 823 BGB).
Der Bauherr kann sie in Regress nehmen – Sie dürfen aber beide gleichzeitig in Anspruch nehmen (Gesamtschuld).
3. Die öffentliche Hand
Bei Straßen-, Brücken- oder Schienenprojekten sind die Bauherren meist Städte oder Landesbetriebe.
Dann gilt das öffentlich-rechtliche Nachbarrecht, insbesondere der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog).
Betroffene können eine Entschädigung verlangen, wenn der Lärm rechtmäßig, aber unzumutbar ist.
Ihre Rechte bei unzumutbarem Baulärm
1. Unterlassungsanspruch (§ 1004 BGB analog)
Wenn der Lärm – z. B. durch Nachtarbeiten oder rücksichtsloses Arbeiten – die Grenze des Zumutbaren überschreitet,
können Sie Unterlassung verlangen.
Der Anspruch richtet sich gegen den Bauherrn oder das Bauunternehmen.
Die Gerichte prüfen:
- Ist die Immission wesentlich?
- Ist sie ortsüblich?
- Ist sie vermeidbar?
Beispiel:
Eine private Kernsanierung mit Dauerbohren an Wochenenden ist nicht ortsüblich.
Der Nachbar kann sofortige Unterlassung verlangen.
2. Schadensersatz (§ 823 BGB)
Wer schuldhaft übermäßigen Lärm verursacht, muss den finanziellen Schaden ersetzen:
Reinigungskosten, Wertminderung, Mietminderungen oder medizinische Kosten bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
3. Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog)
Ist der Lärm rechtmäßig, aber unzumutbar, steht Ihnen ein Ausgleich in Geld zu.
Das betrifft vor allem Großprojekte (Straßen-, U-Bahn-, öffentliche Bauvorhaben).
Sie können eine Entschädigung für den vorübergehenden Nutzungsausfall oder Mietwertverlust verlangen.
Wie Sie Ihre Ansprüche sichern – Beweisdokumentation
Erfolg hängt von der Beweisführung ab.
Gerichte verlangen nachvollziehbare Nachweise der Lärmbelastung.
Lärmprotokoll führen
Notieren Sie – am besten täglich – Zeit, Dauer und Art des Lärms.
Beispiel:
„05. Mai, 07:10 – Presslufthammer bis 18 Uhr – durchgehend hörbar, Gespräche nicht mehr möglich.“
Zeugen und Messungen
- Zeugen: Familienmitglieder, Nachbarn, Besucher.
- Messung: Smartphone-Apps sind ungeeignet. Nutzen Sie Messgeräte oder Sachverständige.
- Gutachten: Bei Klagen wird fast immer ein Gutachter eingeschaltet, der die dB-Werte ermittelt.
Kommunikation dokumentieren
Heben Sie Schreiben, E-Mails oder Antworten des Bauherrn auf.
Sie belegen, dass Sie die Störung angezeigt und Fristen gesetzt haben.
Öffentliche und behördliche Hilfe
Ordnungsamt
Zuständig für Verstöße gegen Lärmschutzverordnungen.
Das Amt kann Baustellen stoppen oder Auflagen erteilen (z. B. Ruhezeiten, Schallschutz).
Polizei
Bei akuter Ruhestörung (Nachtarbeiten, LKW-Lieferungen nach 22 Uhr) darf die Polizei sofort eingreifen.
Sie kann Arbeiten untersagen oder Verwarnungen aussprechen.
Immissionsschutzbehörde
Bei Großprojekten prüft sie die TA-Lärm-Werte, erteilt Genehmigungen oder ordnet Nachrüstungen an.
Mietrechtliche Folgen bei Baulärm
Sind Sie Mieter und werden durch Baulärm beeinträchtigt,
haben Sie Anspruch auf Mietminderung, wenn der Vermieter keine Abhilfe schafft.
- 10 % bis 30 % bei normalem Lärm,
- bis 50 % bei extremer Dauerbelastung.
Der Vermieter kann wiederum gegen den Bauherrn oder die Gemeinde Regress nehmen.
Wichtig: Minderung muss angezeigt und begründet werden – ohne Vorankündigung riskieren Sie Abmahnung.
Beispiel aus der Praxis
Ein Bauunternehmen errichtete ein Mehrfamilienhaus neben einem bestehenden Altbau.
Während der Gründungsarbeiten erschütterten Rüttelplatten über Wochen die Umgebung.
Im Nachbarhaus bildeten sich Putzrisse, die Bewohner klagten über ständigen Lärm.
Das Gericht sah die Belastung als wesentlich an – Lärmpegel über 60 dB(A) tagsüber, keine Abschirmung.
Ergebnis: Schadensersatz (5 000 € für Risse) + Ausgleich (2 000 € für Nutzungsbeeinträchtigung).
Außerdem ordnete das Gericht den Einbau von Lärmschutzwänden an.
Grenzen der Duldungspflicht
Baulärm muss nur geduldet werden, wenn er
- technisch unvermeidbar,
- zeitlich begrenzt und
- ortsüblich ist.
Sobald eine dieser Voraussetzungen entfällt, entsteht ein Unterlassungsrecht.
Nicht ortsüblich ist z. B. ständiges Bohren in der Nacht oder lauter Maschinenbetrieb in reinen Wohngebieten.
Gesundheitliche Beeinträchtigungen
Dauerhafte Lärmbelastung kann zu körperlichen und psychischen Beschwerden führen.
Medizinisch nachgewiesene Folgen (Schlafstörungen, Stresssymptome) können Schadensersatz begründen,
wenn der Lärm objektiv unzumutbar war und der Bauherr die Belastung zu vertreten hat.
Verjährung und Fristen
Ansprüche auf Unterlassung bestehen, solange die Störung andauert.
Schadensersatzansprüche verjähren nach 3 Jahren ab Kenntnis (§ 195 BGB).
Bei Bau- und Anlagenschäden gilt häufig die verlängerte Bauwerksverjährung (§ 634a BGB – 5 Jahre).
Sichern Sie daher Beweise sofort nach dem Schadenseintritt.
Was Sie vermeiden sollten
- Keine Selbstjustiz: Baumaschinen abschalten, Baustelle blockieren – strafbar.
- Keine vorschnellen Klagen: Erst Beweise sichern, Fristen setzen.
- Keine Untätigkeit: Wer jahrelang Lärm hinnimmt, riskiert Verwirkung.
Praktische Tipps
- Frühzeitig informieren: Sprechen Sie Bauherren an, bevor Sie Anzeige erstatten.
- Lärmprotokoll führen: je genauer, desto stärker Ihre Position.
- Ordnungsamt einschalten: bei wiederholten Verstößen.
- Anwalt einschalten: bei anhaltender Störung oder hohem Schaden.
- Versicherung prüfen: ob Rechtsschutz Kosten abdeckt.
Vergleich und Mediation
Nicht jeder Streit muss vor Gericht enden.
Eine Mediation oder ein gerichtlicher Vergleich kann eine praktikable Lösung bringen – etwa Entschädigung gegen Fortführung der Arbeiten unter Auflagen.
So lassen sich Zeit, Kosten und Nachbarschaftsverhältnisse schonen.

Fazit: Ruhe ist ein schützenswertes Gut
Bauen gehört zum Fortschritt – aber niemand muss sich grenzenlosen Lärm gefallen lassen.
Das Nachbarrecht zieht eine klare Linie zwischen zumutbarem Baufortschritt und unzumutbarer Belastung.
Wer Lärm dokumentiert, sachlich reagiert und seine Rechte kennt, kann erfolgreich Unterlassung, Ausgleich oder Schadensersatz durchsetzen.
Das schützt nicht nur Ihr Eigentum, sondern auch Ihre Lebensqualität.
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