Haftung der Bank bei betrugsbedingten Überweisungen – Ihr ausführlicher Leitfaden
1. Einleitung: Wenn die Bank „Nein“ sagt und das Geld verloren scheint
Es ist eine Situation, die ich als Anwalt im Bank- und Kapitalmarktrecht regelmäßig erlebe:
Ein Mandant kommt zu mir, völlig aufgelöst. Er hat 20.000 €, manchmal 50.000 € oder sogar noch höhere Summen überwiesen – auf eine angebliche Krypto-Plattform, an einen vermeintlichen Geschäftspartner oder nach einem raffinierten Romance Scam. Kurz darauf kommt die Erkenntnis: Es war ein Betrug. Das Geld ist weg.
Der erste Weg führt natürlich zur Bank. Doch dort hört man fast immer denselben Satz:
„Sie haben die Überweisung selbst autorisiert, wir sind nicht haftbar.“
Für viele Opfer ist das ein zweiter Schlag ins Gesicht. Man fühlt sich alleingelassen, man glaubt, die eigene Leichtgläubigkeit sei allein schuld. Manche fügen sich in ihr Schicksal und geben das Geld endgültig verloren.
Genau das ist aber ein Fehler. Denn die Rechtslage ist wesentlich differenzierter. Banken haben Sorgfalts- und Warnpflichten, die sie gegenüber ihren Kunden einzuhalten haben. Und wenn diese verletzt werden, können Betroffene sehr wohl Ansprüche gegen ihre Bank geltend machen – auch wenn die Bank das im ersten Schritt bestreitet.
2. Schritt für Schritt: So funktioniert der Weg zur Bankhaftung
Damit Sie verstehen, wo Ihre Chancen liegen, erkläre ich den Weg in einzelnen Schritten – vom Grundprinzip über die Pflichten der Banken bis hin zur Rolle des Anwalts.
2.1 Banken sind nicht nur „Durchleiter“
Zunächst einmal: Banken sind nicht bloß technische Dienstleister, die stumpf Zahlungsaufträge ausführen. Sie sind Vertragspartner im Rahmen des Zahlungsdienstevertrags. Daraus folgen Nebenpflichten – insbesondere:
- Schutzpflichten: die Interessen des Kunden zu wahren,
- Warnpflichten: bei erkennbar riskanten Zahlungen einzuschreiten,
- Sorgfaltspflichten: Standards im Zahlungsverkehr einzuhalten.
Es ist also falsch, wenn Banken so tun, als seien sie völlig passiv und ohne Verantwortung.
2.2 Die Warnpflicht – das wichtigste Instrument für Kunden
Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden: Wenn eine Bank auffällige Überweisungen sieht, muss sie handeln.
Beispiele für Auffälligkeiten:
- ein Kunde, der sonst nur Miete und Strom überweist, tätigt plötzlich eine Überweisung über 40.000 € an eine unbekannte IBAN im Ausland,
- mehrere schnelle Überweisungen innerhalb weniger Stunden an denselben Empfänger,
- Empfänger mit auffälligem Verwendungszweck („Broker Wallet“, „Crypto Account“, „Treasury“).
Hier reicht es nicht, dass die Bank die Überweisung „formal korrekt“ durchführt. Sie muss prüfen und ggf. warnen.
Unterlässt sie dies, greift die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens:
- Es wird zugunsten des Kunden angenommen, dass er bei rechtzeitiger Warnung die Zahlung abgebrochen hätte.
- Die Bank trägt dann die Beweislast dafür, dass der Schaden auch trotz Warnung eingetreten wäre.
Das ist ein mächtiges Werkzeug, das viele Betroffene gar nicht kennen – und das Banken selten von sich aus erwähnen.
3. Warum Banken fast immer „Nein“ sagen – und warum das nicht das Ende ist
In der Praxis erlebe ich es täglich: Opfer melden sich bei ihrer Bank, schildern den Betrug, bitten um Rückbuchung oder Haftungsprüfung – und erhalten sofort eine Absage.
Die Standardargumente:
- „Sie haben selbst überwiesen.“
- „Wir sind nicht verpflichtet, Ihre Entscheidungen zu hinterfragen.“
- „Die TAN wurde von Ihnen bestätigt.“
Diese Argumente klingen endgültig, sind es aber nicht. Sie sind Teil einer Verteidigungsstrategie der Banken. Ohne anwaltlichen Druck wird eine Bank selten freiwillig prüfen, ob sie selbst Pflichten verletzt hat.
Deshalb ist es so wichtig, dass Betroffene sich von dieser ersten Absage nicht entmutigen lassen. Erst mit rechtlicher Begleitung werden die Warnpflichten und Sorgfaltspflichten wirklich ins Spiel gebracht.
4. Die wichtigsten Pflichten der Banken im Detail
4.1 Warnpflichten im Überweisungsverkehr
Banken müssen eingreifen, wenn eine Überweisung objektiv auffällig ist. Kriterien: Höhe, Empfänger, Verwendungszweck, zeitliche Häufung.
4.2 Verhaltensregeln nach dem Überweisungsabkommen
Es gibt Standards, die Banken einzuhalten haben – z. B. Rückfragen bei großen Beträgen oder verdächtigen Erstüberweisungen. Werden diese Regeln ignoriert, spricht viel für eine Pflichtverletzung.
4.3 Drittschadensliquidation
Im internationalen Zahlungsverkehr sind mehrere Banken beteiligt. Damit Kunden nicht leer ausgehen, gibt es die Konstruktion der Drittschadensliquidation. Sie erlaubt, Schäden auch dann geltend zu machen, wenn die eigene Hausbank eigentlich nicht „Vertragspartner“ der fehlerhaften Bank war.
4.4 Verschuldensabhängige und verschuldensunabhängige Haftung
- Verschuldensabhängig: Prüfung, ob die Bank ihre Pflichten verletzt hat.
- Verschuldensunabhängig: nur in engen Grenzen, z. B. wenn technische Fehler der Bank vorliegen.
4.5 Beweislast
Grundsätzlich muss der Kunde Pflichtverletzungen darlegen. Aber: Bei Verletzung von Warnpflichten kehrt sich die Beweislast um – ein großer Vorteil für Betroffene.
5. Grenzen der Haftung – und trotzdem Chancen
Natürlich gibt es Fälle, in denen Banken nicht haften:
- wenn Kunden leichtfertig TANs herausgeben,
- wenn Warnmeldungen ignoriert werden,
- wenn der Betrug erst sehr spät gemeldet wird.
Aber: Auch in solchen Konstellationen lohnt sich die Prüfung. Denn oft hätte die Bank trotzdem warnen müssen. Gerichte schauen genau hin, ob Auffälligkeiten vorlagen.
6. Typische Szenarien aus meiner Praxis
Um die Haftung greifbarer zu machen, hier einige typische Fälle:
- Krypto-Betrug: Mandantin überweist 60.000 € an „Broker“ in Estland. Bank hatte keinerlei Rückfrage gestellt, obwohl es die erste Auslandsüberweisung dieser Art war. Ergebnis: Teilhaftung der Bank.
- CEO-Fraud: Mittelständler zahlt 120.000 € nach manipuliertem Fake-Mail-Befehl. Bank hätte wegen des untypischen Empfängers Rückfrage halten müssen. Vergleich mit Bank über 50 %.
- Romance Scam: Rentner überweist mehrfach an angebliche Partnerin in Westafrika. Auffällige Beträge und Empfänger – Bank hätte Alarm schlagen müssen. Rückerstattung eines Teils des Schadens.
7. Rolle des Anwalts – warum Sie alleine kaum Erfolg haben
Die bittere Realität: Ohne anwaltliche Begleitung bleibt es meist beim „Nein“ der Bank.
Warum?
- Banken wissen, dass Laien die komplexen Rechtsfiguren wie „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ oder „Drittschadensliquidation“ nicht kennen.
- Sie kalkulieren damit, dass viele Betroffene sich geschlagen geben.
- Erst wenn ein Anwalt konkrete Pflichtverletzungen benennt und rechtlich fundiert Druck macht, bewegt sich etwas.
Was ein Anwalt tut:
- Prüfung der Überweisung auf Warnpflichtverletzungen.
- Schriftliche Geltendmachung gegenüber der Bank.
- Nutzung der Beweislastumkehr.
- Notfalls Klage oder Schlichtungsverfahren beim Bankenombudsmann.
Ich erlebe es immer wieder: Mit anwaltlicher Begleitung steigen die Chancen auf Rückerstattung oder Vergleich erheblich.
8. Beweislast und Verjährung – zwei entscheidende Stellschrauben
- Beweislast: Normalerweise beim Kunden. Aber bei Warnpflichtverletzungen kehrt sich die Last um – plötzlich muss die Bank beweisen, dass ihr Verhalten unschädlich war.
- Verjährung: Drei Jahre ab Ende des Jahres der Kenntnis. Viele Betroffene haben also mehr Zeit, als sie denken. Auch ältere Fälle können noch verfolgt werden.
9. Hoffnung für Betroffene – warum sich Dranbleiben lohnt
Viele Opfer sind nach dem Betrug so geschockt, dass sie sofort resignieren. Sie hören das Nein der Bank und glauben, der Kampf sei aussichtslos. Doch das stimmt nicht.
- Die Rechtsprechung wird zunehmend kundenfreundlicher.
- Banken haben Pflichten, die sie nicht ignorieren dürfen.
- Selbst wenn kein voller Ersatz erreicht wird, sind Vergleiche und Teilerstattungen häufig möglich.
👉 Wichtig: Wer nichts tut, bekommt nichts. Wer aber rechtlich vorgeht, hat reale Chancen.
10. Fazit: Nicht entmutigen lassen – anwaltlich prüfen lassen
Wenn Sie Opfer eines Betrugs geworden sind und die Bank zunächst „Nein“ sagt, sollten Sie das nicht akzeptieren.
- Banken haben Warnpflichten.
- Verletzen sie diese, haften sie.
- Die erste Absage ist nicht das Ende, sondern oft nur Taktik.
Als Anwalt rate ich:
- Dokumentieren Sie den Betrug genau.
- Lassen Sie sich von der Bank nicht mit Standardfloskeln abwimmeln.
- Holen Sie rechtliche Unterstützung.
Viele meiner Mandanten konnten so ihr Geld zurückholen oder zumindest einen erheblichen Teil.
Sie sind nicht schuld – und Sie sind nicht machtlos.