Nachbarschaftslärm – welche Geräusche müssen Sie dulden?
Verfasst von
Max Hortmann
10 Nov 2025
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Nachbarschaftslärm – welche Geräusche müssen Sie dulden?
Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Frankfurt am Main – Vertragsautor jurisAZO-ITR / PR-ITR
Wenn es nebenan einfach zu laut wird
Lärm ist einer der häufigsten Gründe für zerrüttete Nachbarschaften. Was als freundlicher Grillabend beginnt, endet oft im Streit über laute Musik, bellende Hunde oder die Frage, ob man sonntags den Rasen mähen darf.
Viele Eigentümer und Mieter wissen zwar, dass es Ruhezeiten gibt – aber nicht, welche Geräusche sie tatsächlich dulden müssen und wann ein rechtlicher Anspruch auf Ruhe besteht. Der Gesetzgeber verlangt nämlich nicht völlige Stille, sondern nur ein Maß an Rücksicht, das ein „verständiger Durchschnittsbürger“ erwarten darf.
Der rechtliche Rahmen: § 906 BGB
§ 906 BGB bildet die Grundlage des deutschen Lärmschutzrechts im Nachbarschaftsverhältnis. Er regelt, wann sogenannte Immissionen – also Geräusche, Gerüche, Erschütterungen oder ähnliche Einwirkungen – zu dulden sind und wann nicht.
Der Kern der Vorschrift:
„Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung unwägbarer Stoffe […] nicht verbieten, soweit die Beeinträchtigung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.“
Lärm fällt unter diese „unwägbaren Stoffe“. Unwesentliche Beeinträchtigungen sind hinzunehmen; wesentliche dagegen nicht – es sei denn, sie sind ortsüblich und wirtschaftlich unvermeidbar.
Das klingt abstrakt, wird aber durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften konkretisiert – insbesondere durch die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) und kommunale Lärmschutzsatzungen.
Wann ist Lärm „wesentlich“?
Ob eine Störung wesentlich ist, hängt von Intensität, Dauer, Häufigkeit und der Art des betroffenen Gebiets ab. Gerichte berücksichtigen vier Faktoren:
Lautstärke – gemessen in dB(A); als Richtwert gelten tagsüber in Wohngebieten rund 55 dB(A), nachts 40 dB(A).
Zeitliche Einordnung – Lärm in der Nacht oder zur Mittagszeit wiegt schwerer.
Häufigkeit – einmalige Feste sind anders zu bewerten als dauerhafte Störungen.
Ortsüblichkeit – wer in der Innenstadt wohnt, muss mehr hinnehmen als im reinen Wohngebiet.
Wenn diese Schwelle überschritten wird, ist der Lärm wesentlich – und damit grundsätzlich unzulässig, sofern er vermeidbar ist.
Ruhezeiten: Wann wirklich Ruhe sein muss
Nachtruhe
In ganz Deutschland gilt zwischen 22 Uhr und 6 Uhr die gesetzliche Nachtruhe. In dieser Zeit müssen alle vermeidbaren Lärmquellen auf Zimmerlautstärke reduziert werden. Das betrifft Musik, handwerkliche Tätigkeiten, Gartenarbeiten und Feiern.
Mittagsruhe
Viele Städte und Hausordnungen sehen eine Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr vor. Sie ist nicht bundesgesetzlich geregelt, wird aber zivilrechtlich über das Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) durchgesetzt.
Sonn- und Feiertagsruhe
An Sonn- und Feiertagen besteht in den meisten Bundesländern eine ganztägige Ruhepflicht. Motorbetriebene Geräte wie Rasenmäher, Laubbläser oder Kreissägen dürfen dann nicht betrieben werden.
Typische Lärmquellen – was ist erlaubt, was nicht?
1. Kinderlärm
Kinderlärm ist privilegiert. Nach § 22 Abs. 1a BImSchG gilt Lärm, der von spielenden Kindern ausgeht, in der Regel nicht als schädliche Umwelteinwirkung. Das bedeutet: Schreien, Lachen, Ballspielen oder Rollerfahren auf dem Hof sind grundsätzlich hinzunehmen.
Ausnahme: Wenn Kinderlärm gezielt provozierend eingesetzt oder von Erwachsenen gefördert wird, um Nachbarn zu ärgern, kann er unzulässig sein – in der Praxis extrem selten.
2. Musik und Partys
Eine einmalige Feier pro Jahr wird von Gerichten häufig als sozialadäquat angesehen, solange sie spätestens um 24 Uhr endet und der Nachbar informiert wurde. Wiederholte laute Feiern oder dauerhaftes Musizieren in hoher Lautstärke überschreiten aber die Zumutbarkeitsgrenze.
Die Faustregel:
Fenster und Türen geschlossen halten,
Lautstärke auf Zimmerniveau senken,
keine Bassverstärkung in den Nachtstunden.
3. Haushalts- und Gartenarbeiten
Staubsauger, Bohrmaschine oder Rasenmäher gehören zum Alltag – aber bitte zur richtigen Zeit. Motorbetriebene Gartengeräte dürfen werktags zwischen 7 und 20 Uhr verwendet werden. An Sonn- und Feiertagen sind sie tabu.
Einige Kommunen haben zusätzliche Regeln: In vielen Städten ist die Nutzung lärmintensiver Geräte wie Laubbläser nur an bestimmten Wochentagen und Stunden erlaubt.
4. Tiere
Hundegebell ist eine klassische Lärmquelle. Ein Hund darf bellen – aber nicht dauerhaft. Gerichte ziehen eine Grenze bei etwa 10 Minuten ununterbrochenem Bellen oder mehr als 30 Minuten verteilt über den Tag. Nachts gilt null Toleranz: kein Bellen zwischen 22 und 6 Uhr.
Für exotische Tiere (Papageien, Hähne) gelten ähnliche Maßstäbe: entscheidend ist, ob das Geräusch ortsuntypisch oder übermäßig häufig ist.
5. Bauarbeiten
Bau- und Renovierungsarbeiten sind zulässig, wenn sie notwendig und zeitlich begrenzt sind. Aber: selbst Handwerker müssen die Immissionsgrenzen der TA Lärm einhalten. Dauerbohren in der Nacht oder Presslufthammer am Sonntag ist eindeutig unzulässig.
Rechte bei unzumutbarem Lärm
Unterlassungsanspruch (§ 1004 BGB analog)
Als Eigentümer können Sie vom Nachbarn verlangen, den störenden Lärm zu unterlassen. Dazu genügt bereits eine fortlaufende, wesentliche Beeinträchtigung.
Vor Gericht muss der Lärm konkret beschrieben und bewiesen werden – durch Protokolle, Zeugen oder Messungen.
Beseitigungs- und Anpassungsanspruch
Neben dem Unterlassungsanspruch kann bei baulichen Anlagen (z. B. Wärmepumpe, Poolpumpe, Klimagerät) ein Anpassungsanspruch bestehen. Der Nachbar muss technische Maßnahmen ergreifen, um die Geräusche auf ein zumutbares Maß zu senken – etwa Schallschutz oder neue Aufstellung.
Schadensersatz und Mietminderung
Eigentümer können Schadensersatz verlangen, wenn der Lärm zu konkreten Vermögensschäden führt (z. B. Wertminderung des Grundstücks).
Mieter dürfen bei erheblichem Nachbarlärm die Miete mindern, sofern der Vermieter nicht einschreitet.
Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog)
Wenn der Lärm rechtmäßig, aber dennoch unzumutbar ist – etwa bei unvermeidbaren Bauarbeiten –, besteht ein Anspruch auf finanziellen Ausgleich. Dieser Anspruch greift selten, ist aber ein wichtiges Instrument gegen dauerhafte Belastungen.
Lärmprotokoll: Notieren Sie Datum, Uhrzeit, Dauer, Art des Lärms und dessen Intensität. Beispiel: „14.06., 23:30 Uhr – laute Musik, Fenster vibrieren, Dauer bis 01:15 Uhr“.
Zeugen: Familienmitglieder oder Nachbarn können bezeugen, dass der Lärm regelmäßig auftritt.
Tonaufnahmen: Kurze Audioaufzeichnungen dürfen als Indiz dienen, solange sie nur das Geräusch festhalten und keine Gespräche mitschneiden.
Lärmmessung: Bei komplexen Fällen kann ein Sachverständiger objektive dB-Werte ermitteln.
Diese Beweise erhöhen die Erfolgsaussichten erheblich, falls Sie anwaltlich oder gerichtlich vorgehen müssen.
Polizei, Ordnungsamt und Mediation
Bevor Sie Klage erheben, sollten Sie die Behörden einschalten. Das Ordnungsamt kann bei Verstößen gegen Ruhezeiten Bußgelder verhängen. Bei akuten Ruhestörungen – insbesondere nachts – dürfen Sie die Polizei rufen.
In vielen Bundesländern ist vor einer Klage ein Schlichtungs- oder Mediationsverfahren Pflicht. Ein neutraler Schiedsmann versucht, eine Einigung zu erzielen. Das spart Zeit, Kosten und oft die Nachbarschaft selbst.
Besondere Situationen
Musikschule oder Proberaum im Wohnhaus
Musizieren ist Teil der Lebensgestaltung. Zulässig sind etwa zwei Stunden täglich an Werktagen zwischen 8 und 20 Uhr. Bei Berufsmusikern oder Musikschulen gelten strengere Maßstäbe – hier muss meist ein separater, schallisolierter Raum vorhanden sein.
Gewerblicher Lärm
Kommt der Lärm von einem Restaurant, einer Werkstatt oder einem Vereinsheim, greifen zusätzlich öffentlich-rechtliche Vorschriften (BImSchG, TA Lärm). Die Behörde kann Auflagen erteilen oder Betriebszeiten beschränken.
Wohnungseigentümergemeinschaft
In WEGs gelten Sonderregeln: Die Gemeinschaft kann Ruhezeiten und Nutzungsbeschränkungen in der Hausordnung festlegen. Wer dagegen verstößt, kann abgemahnt und im Extremfall auf Unterlassung verklagt werden.
Was Sie keinesfalls tun sollten
Keine Selbstjustiz: Drehen Sie keine Sicherungen heraus, blockieren Sie keine Zufahrten und schneiden Sie keine Leitungen.
Keine Drohungen: Drohungen oder Beleidigungen können strafbar sein (§ 185 StGB).
Keine Überreaktion: Ein einmaliger Verstoß rechtfertigt noch keine Klage. Zunächst dokumentieren, dann ansprechen.
Prävention: So beugen Sie Streit vor
Kommunikation: Sprechen Sie frühzeitig mit Ihren Nachbarn – am besten ruhig und sachlich.
Klare Hausordnung: In Mehrparteienhäusern sollten Ruhezeiten schriftlich fixiert sein.
Technische Maßnahmen: Schalldämmung, Filzunterlagen unter Geräten oder leisere Maschinen können Wunder wirken.
Gegenseitige Rücksicht: Akzeptieren Sie, dass niemand völlig geräuschlos lebt – aber erwarten Sie auch Rücksicht im Gegenzug.
Praxisfall
Ein Eigentümer fühlte sich durch den täglichen Betrieb einer Wärmepumpe im Nachbargarten gestört. Die Messung ergab nachts 47 dB(A) – das überschritt den zulässigen Wert von 40 dB(A). Das Gericht verpflichtete den Betreiber, die Anlage nachts abzuschalten oder schallisoliert umzubauen.
Der Fall zeigt: Auch moderne Technik kann zur Ruhestörung werden, wenn sie nicht fachgerecht installiert ist.
Lärm gehört zum Leben, aber niemand muss sich dauerhaft beschallen lassen. Das Nachbarrecht schützt Ihre Ruhe – solange Sie umsichtig und beweisbar handeln.
Ihre Schritte:
Gespräch suchen – sachlich, nicht emotional.
Lärm dokumentieren.
Behörden oder Mediation einschalten.
Anwalt kontaktieren, wenn keine Einsicht erfolgt.
Wer diese Reihenfolge beachtet, erreicht meist mehr als mit sofortiger Eskalation.
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