Nachhaltige und soziale Kriterien im Vergabeverfahren

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Nachhaltige und soziale Kriterien im Vergabeverfahren
Einleitung
Nachhaltigkeit ist längst kein freiwilliges Zusatzkriterium mehr, sondern ein verbindlicher Bestandteil öffentlicher Vergaben.
Das Vergaberecht verpflichtet Auftraggeber, bei Beschaffungen ökologische, soziale und innovationsbezogene Aspekte – sogenannte ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) – zu berücksichtigen.
Doch wie lässt sich Nachhaltigkeit rechtssicher integrieren, ohne Vergabeverfahren angreifbar zu machen?
Dieser Beitrag zeigt, welche rechtlichen Grundlagen, praktischen Spielräume und Pflichten bestehen und wie Auftraggeber ESG-Kriterien strategisch und rechtskonform einsetzen können.
1. Rechtliche Grundlagen
Die Integration von ESG-Kriterien ist ausdrücklich im Vergaberecht vorgesehen. Sie soll sicherstellen, dass öffentliche Aufträge nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich verantwortungsvoll vergeben werden.
a) Strategische Ziele
- Nach § 97 Abs. 3 GWB dürfen öffentliche Auftraggeber soziale, umweltbezogene und innovative Aspekte berücksichtigen.
- § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB konkretisiert, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erfolgt – unter Einbeziehung qualitativer, sozialer und ökologischer Kriterien.
- § 120a GWB und § 22a UVgO verpflichten Bund und Länder, mindestens ein Nachhaltigkeitskriterium in jedem Vergabeverfahren einzubringen.
b) Auftragsbezug als Voraussetzung
ESG-Kriterien müssen in sachlichem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen.
Das bedeutet:
- Nur Anforderungen, die sich auf die Leistung oder deren Erbringung beziehen, sind zulässig.
- Allgemeine politische Zielvorgaben („grüne Politik“) ohne Leistungsbezug sind unzulässig.
Beispiel:
Ein Auftraggeber darf die Lieferung energieeffizienter Fahrzeuge fordern, aber nicht, dass das Unternehmen als solches klimaneutral ist.
2. ESG-Kriterien in den verschiedenen Verfahrensphasen
Nachhaltigkeitsaspekte können in jeder Phase des Vergabeverfahrens eingebracht werden – vom Bedarf bis zur Ausführung.
a) Leistungsbeschreibung
Nach § 23 UVgO können Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung konkrete ESG-Anforderungen definieren, etwa:
- Energieeffizienzklassen, CO₂-Grenzwerte oder Recyclinganteile,
- Verwendung von schadstoffarmen Materialien,
- faire Produktionsbedingungen (z. B. keine Kinderarbeit).
Praxisbeispiel:
„Das angebotene Papier muss zu mindestens 80 % aus Recyclingfasern bestehen und das Umweltzeichen Blauer Engel tragen.“
b) Eignungskriterien
Unternehmen können nach § 33 UVgO auch hinsichtlich ihrer technischen oder beruflichen Leistungsfähigkeit bewertet werden, etwa:
- Nachweis eines Umweltmanagementsystems (EMAS, ISO 14001),
- Erfahrung in nachhaltigen Projekten,
- Beschäftigung sozial benachteiligter Gruppen.
c) Zuschlagskriterien
Nach § 127 GWB dürfen ESG-Aspekte in die Zuschlagsentscheidung einfließen, wenn sie:
- transparent und messbar sind,
- in einem engen Zusammenhang mit dem Auftrag stehen,
- und objektiv vergleichbar bewertet werden können.
Zulässige Beispiele:
- Lebenszykluskosten (z. B. Energieverbrauch über 10 Jahre),
- CO₂-Fußabdruck der Leistungserbringung,
- lokale Ausbildungsprogramme oder soziale Integration.
d) Vertragsbedingungen
Gemäß § 45 UVgO und § 128 GWB können ESG-Aspekte als Ausführungsbedingungen festgelegt werden, z. B.:
- Einhaltung von Mindestlohnstandards,
- Schulungsprogramme zur Arbeitssicherheit,
- Einsatz von Elektrofahrzeugen bei Lieferung.

3. Nachweisführung und Kontrolle
Damit ESG-Kriterien rechtssicher sind, müssen Auftraggeber deren Erfüllung objektiv überprüfbar gestalten.
a) Nachweise
- Umweltzeichen (z. B. EU-Ecolabel, Blauer Engel, Fairtrade).
- Zertifikate oder Eigenerklärungen nach § 50 VgV.
- Prüfberichte unabhängiger Dritter.
Wichtig:
Wenn ein bestimmtes Label verlangt wird, müssen gleichwertige Nachweise zugelassen werden, um den Wettbewerb nicht unzulässig zu beschränken.
b) Kontrolle während der Vertragslaufzeit
- ESG-Bedingungen sind verbindliche Vertragspflichten.
- Auftraggeber müssen prüfen, ob sie tatsächlich eingehalten werden.
- Bei Verstößen drohen Vertragsstrafen oder Kündigungen.
4. Rechtliche Fallstricke
a) Transparenz und Gleichbehandlung
Alle ESG-Kriterien müssen bereits in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen klar formuliert sein.
Nachträgliche Änderungen oder unscharfe Formulierungen (z. B. „nachhaltige Beschaffung wird bevorzugt“) sind rechtswidrig.
b) Verhältnismäßigkeit
Kriterien dürfen nicht unverhältnismäßig sein.
Beispiel: Ein kleiner Lieferauftrag darf nicht die ISO 14001-Zertifizierung verlangen, wenn der Leistungsgegenstand diese Anforderungen nicht rechtfertigt.
c) Nachprüfbarkeit
Unbestimmte Begriffe wie „sozial verantwortliches Verhalten“ oder „nachhaltige Firmenkultur“ sind zu vage.
Nur konkrete, messbare Indikatoren sind zulässig.
5. Chancen durch ESG-Kriterien
a) Nachhaltige Beschaffung als Wettbewerbsvorteil
Durch ESG-Kriterien fördern Auftraggeber:
- Innovationen in nachhaltiger Technologie,
- regionale und ressourcenschonende Lösungen,
- langfristige Kosteneinsparungen durch Lebenszykluskosten.
b) Soziale Verantwortung und Vorbildfunktion
Öffentliche Auftraggeber übernehmen eine gesellschaftliche Vorbildrolle:
Sie zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
c) Zukunftssichere Vergabepraxis
ESG-Kriterien werden in den kommenden Jahren zur Pflichtanforderung in fast allen Vergabeverfahren.
Wer frühzeitig Strategien entwickelt, ist künftig prüffester und wettbewerbsfähiger.
6. Praktische Empfehlungen
- Frühzeitige Marktanalyse: Ermitteln Sie, welche ESG-Kriterien marktüblich und umsetzbar sind.
- Klare Leistungsbeschreibung: ESG-Vorgaben müssen eindeutig, messbar und auftragsbezogen sein.
- Bewertungsmatrix entwickeln: Definieren Sie, wie ESG-Kriterien in die Zuschlagswertung einfließen.
- Gleichwertige Nachweise zulassen: Keine Benachteiligung kleiner oder mittelständischer Anbieter.
- Kontrolle und Sanktionen: ESG-Pflichten müssen überprüfbar und vertraglich durchsetzbar sein.

7. Fazit & Call-to-Action
Nachhaltige Vergabe ist mehr als ein Trend – sie ist rechtliche Pflicht und strategische Chance.
ESG-Kriterien schaffen Wettbewerbsvorteile, reduzieren Lebenszykluskosten und stärken das öffentliche Vertrauen.
Wer sie aber falsch oder zu pauschal einsetzt, riskiert Nachprüfungsverfahren oder Vertragsaufhebungen.
Entscheidend sind klare Kriterien, saubere Dokumentation und nachvollziehbare Gewichtung.
Wenn Sie ESG-Kriterien rechtssicher in Ihre Ausschreibungen integrieren oder bestehende Verfahren prüfen möchten, unterstützen wir Sie bei der rechtlichen Gestaltung und Optimierung Ihrer Vergabeunterlagen.
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