Rügepflicht im Vergaberecht – Zwischen Taktik und Pflicht
Einleitung
Im Vergaberecht entscheidet oft nicht nur der Preis, sondern die Prozessstrategie.
Ein zentraler Baustein ist dabei die Rügepflicht nach § 160 GWB – sie ist die Eintrittskarte zum Rechtsschutz.
Wer einen Vergabeverstoß erkennt, muss diesen klar, rechtzeitig und dokumentiert gegenüber der Vergabestelle rügen.
Nur dann kann später ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eingeleitet werden.
Dieser Beitrag zeigt, wann eine Rüge erforderlich ist, welche Fristen gelten, wie sie formuliert werden muss und welche taktischen Spielräume Bieter im Verfahren haben.
1. Rechtsgrundlage und Bedeutung der Rügepflicht
Die Rügepflicht ist in § 160 Abs. 3 GWB geregelt und stellt sicher, dass Vergabeverstöße zunächst bei der Vergabestelle selbst geltend gemacht werden.
Sie dient dem Grundsatz der Verfahrensökonomie: Fehler sollen schnell behoben werden, ohne dass sofort ein aufwändiges Nachprüfungsverfahren nötig wird.
Zweck der Rügepflicht
- Fehlerkorrektur: Die Vergabestelle soll Gelegenheit erhalten, Verstöße selbst zu beseitigen.
- Beschleunigung: Frühzeitige Rügen vermeiden langwierige Verfahren.
- Rechtsklarheit: Nur Bieter, die aktiv ihre Rechte wahren, sind schutzwürdig.
2. Fristen für die Rüge
Die Rügefristen sind in § 160 Abs. 3 GWB detailliert geregelt – und werden von den Vergabekammern streng ausgelegt.
RügeanlassFristRechtsgrundlageErkennbare Verstöße in der Bekanntmachungbis zum Ablauf der Bewerbungs- oder Angebotsfrist§ 160 Abs. 3 Nr. 2 GWBFehler in den Vergabeunterlagenbis zum Ablauf der Bewerbungs- oder Angebotsfrist§ 160 Abs. 3 Nr. 3 GWBSonstige Verstöße nach Kenntnisinnerhalb von 10 Kalendertagen§ 160 Abs. 3 Nr. 1 GWBNach Nichtabhilfemitteilung15 Kalendertage für Nachprüfungsantrag§ 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB
Beispiel
Erkennt ein Bieter in den Unterlagen unklare Zuschlagskriterien, muss er vor Ablauf der Angebotsfrist rügen.
Erst wenn die Vergabestelle nicht reagiert oder die Rüge ablehnt, kann binnen 15 Tagen ein Antrag bei der Vergabekammer gestellt werden.
3. Inhalt und Form der Rüge
Eine Rüge ist formfrei, sollte aber aus Beweisgründen schriftlich per E-Mail oder Brief erfolgen.
Sie muss konkret, nachvollziehbar und dokumentierbar sein.
Pflichtinhalte
- Bezeichnung des Vergabeverstoßes,
- Benennung der verletzten Vorschrift (z. B. § 97 GWB, § 127 GWB),
- Darlegung der eigenen Betroffenheit,
- Aufforderung zur Korrektur oder Aufhebung der Vergabeentscheidung.
Eine bloße Frage („Ist die Wertung korrekt?“) ist keine Rüge. Es muss eine klare Beanstandung formuliert werden.
4. Rechtsfolgen bei Verletzung der Rügepflicht
a) Präklusion
Wird ein erkennbarer Verstoß nicht oder zu spät gerügt, ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig.
Das bedeutet:
- Der Bieter verliert dauerhaft seine Rechte aus diesem Verstoß,
- die Vergabekammer darf den Fehler nicht von Amts wegen prüfen,
- das Verfahren gilt als rechtmäßig, auch wenn tatsächlich ein Fehler vorlag.
b) Keine Nachrügemöglichkeit
Eine nachträgliche Rüge ist nicht möglich, sobald die Angebotsfrist abgelaufen oder der Zuschlag erteilt wurde.
Nur Verstöße, die erst später bekannt werden, können dann noch geltend gemacht werden.
c) Beispiel aus der Praxis
Ein Bieter erkennt, dass das Zuschlagskriterium „regionale Nähe“ unzulässig ist, rügt es aber erst nach Ablauf der Angebotsfrist – sein Nachprüfungsantrag wird als unzulässig verworfen.
5. Besonderheiten und Ausnahmen
a) Nachträglich erkannte Verstöße
Ergeben sich neue Erkenntnisse erst nach Einreichung des Nachprüfungsantrags, müssen diese nicht mehr gesondert gerügt werden (§ 160 Abs. 3 GWB analog).
b) Allgemeine Verstöße
Die Rügepflicht besteht auch bei allgemeinen Vergabemängeln, selbst wenn der Bieter nicht unmittelbar betroffen ist (z. B. intransparente Losbildung).
c) Sonderfälle
Die Rügepflicht gilt auch bei:
- Direktvergaben,
- Sektorenaufträgen,
- Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb.
6. Taktische Überlegungen für Bieter
Die Rüge ist nicht nur eine formale Pflicht, sondern auch ein strategisches Instrument.
a) Frühzeitige Positionierung
Wer früh rügt, verschafft sich Gehör und signalisiert rechtliche Kompetenz – ein wichtiger Faktor in Verhandlungsverfahren.
b) Kein „Rügen um jeden Preis“
Zu viele oder unbegründete Rügen wirken kontraproduktiv. Ziel ist es, gezielt und sachlich auf gravierende Verstöße hinzuweisen.
c) Dokumentation
Jede Rüge sollte vollständig dokumentiert werden:
- Datum, Inhalt, Empfänger, Versandnachweis,
- Reaktion der Vergabestelle.
Diese Dokumentation bildet später die Grundlage für ein Nachprüfungsverfahren.
7. Typische Fehler in der Praxis
- Zu späte Rüge – Fristen werden versäumt.
- Unpräzise Rüge – bloße Nachfrage statt Beanstandung.
- Keine Dokumentation – Nachweis der Rüge fehlt.
- Schweigen bei Ablehnung – kein Nachprüfungsantrag innerhalb von 15 Tagen.
Folge: Verlust sämtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten.
Fazit & Call-to-Action
Die Rügepflicht ist mehr als eine Formalie – sie ist die entscheidende Weichenstellung für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren.
Wer sie ignoriert, verliert seine Chance auf Nachprüfung.
Wer sie taktisch klug nutzt, kann das gesamte Verfahren beeinflussen.
Bieter sollten daher:
- Rügen rechtzeitig und klar formulieren,
- sie schriftlich dokumentieren,
- und nach einer Ablehnung sofort rechtlichen Rat einholen.
Wenn Sie prüfen möchten, ob eine Rüge noch fristgerecht möglich ist oder wie Sie ein Nachprüfungsverfahren strategisch vorbereiten, beraten wir Sie präzise und praxisnah.
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