Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
1 Einleitung – Vom Bordell zur Blockchain
Die Grenzen zwischen Sexualität, Kommunikation und Ökonomie verschwimmen.
Digitale Plattformen haben intime Dienstleistungen industrialisiert – von Escort-Portalen über Sugar-Dating-Apps bis zu Virtual-Girlfriend-Diensten, die Nähe, Aufmerksamkeit und Gesprächszeit als digitale Abonnements vermarkten.
Was früher physisch in Clubs und Wohnungen stattfand, vollzieht sich nun als algorithmisch gesteuertes Matching in Chat-Interfaces.
Juristisch stehen diese Geschäftsmodelle in einem Spannungsfeld:
Sie operieren zwischen Dienstleistungsvertrag und Prostitution, zwischen Datenverarbeitung und Förderung der Prostitution (§ 181a StGB).
Die Rechtsordnung reagiert fragmentarisch: Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) ist für analoge Arbeit entworfen, das Telemediengesetz (TMG) für neutrale Hosting-Provider, während der Digital Services Act (DSA) und die DSGVO neue Pflichten erzeugen, die diese Märkte erst sichtbar machen.
Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.
2 Rechtsrahmen – Zwischen TMG, DSA und ProstSchG
Das Providerprivileg des § 7 TMG (Paschke/Roggenkamp, jurisPK-Internetrecht 8. Aufl. 2024, Kap. 1.4)
befreit Plattformbetreiber von Haftung, sofern sie keine Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten haben.
Doch dieses Konzept scheitert, sobald Plattformen aktiv an der Vermittlung verdienen.
Mit dem DSA (Art. 14–17) hat die EU erstmals verbindliche Sorgfaltspflichten eingeführt:
Plattformen müssen illegale Inhalte identifizieren, Meldesysteme bereitstellen und Risiko-Audits durchführen (Raue/Kwiatkowski, MMR 2024, 133 ff.).
Parallel bleibt das ProstSchG (§§ 1 ff.) anwendbar, sobald sexuelle Dienstleistungen vermittelt werden.
Plattformen, die Profile gegen Provision freischalten oder Zahlungen abwickeln, sind keine bloßen Intermediäre,
sondern handeln im Sinne des § 181a StGB als Förderer oder Organisatoren von Prostitution.
Damit verschiebt sich die juristische Bewertung von „neutralem Host“ zu „aktiver Vermittler“.
3 Haftung von Plattformbetreibern
Der Prüfungsmaßstab ist die aktive Teilnahme an der entgeltlichen Vermittlung.
Escort-Seiten oder Sugar-Dating-Portale, die Profile bewerben, Matching-Algorithmen einsetzen oder Provisionen einbehalten,
überschreiten die Schwelle zur wirtschaftlichen Förderung.
Gerichte erkennen hier zunehmend eine „mittelbare Zuhälterei durch digitale Infrastruktur“.
Nach DSA Art. 17 („Due Diligence Obligations“) müssen Anbieter präventive Compliance-Systeme implementieren.
Fehlen diese, droht Haftung nach § 823 BGB i.V.m. § 181a StGB.
Entscheidend ist nicht, ob sexuelle Handlungen vermittelt werden,
sondern ob die Plattform von der Kommerzialisierung sexueller oder emotionaler Zuwendung profitiert.
Damit geraten auch Virtual-Girlfriend-Portale unter Beobachtung – sie monetarisieren „Nähe“ durch Daten- und Abo-Modelle.
4 Datenschutzrechtliche Perspektive – Art. 9 DSGVO
Daten über sexuelle Orientierung, Vorlieben oder Chat-Inhalte gehören zu den besonderen Kategorien personenbezogener Daten (Art. 9 Abs. 1 DSGVO).
Die Verarbeitung erfordert ausdrückliche Einwilligung, Zweckbindung und technische Sicherheit (Heckmann/Scheurer, jurisPK-Internetrecht 8. Aufl. 2024, Kap. 9).
Viele Plattformen verknüpfen Profildaten mit Zahlungs- und Geolokalisierungsdaten – ein klarer Verstoß gegen das Prinzip der Datenminimierung.
Die Aufsichtsbehörden (LfDI, BayLDA, KJM) werten das Fehlen getrennter Speicherbereiche als Organisationsmangel nach Art. 32 DSGVO.
Für Betreiber entsteht somit doppelte Haftung: zivilrechtlich nach Art. 82 DSGVO (Schadensersatz) und aufsichtsrechtlich durch Bußgelder.
Hier zeigt sich eine Parallele zu deinem Beitrag „DeFi-Compliance und Datenschutz“:
Auch in der Intimitätsökonomie ist Datenschutz das zentrale Regulierungsmittel.
5 Straf- und Ordnungsrechtliche Verantwortung
Plattformen, die Einnahmen aus sexuellen Kontakten generieren, können Beihilfe zur Förderung der Prostitution leisten (§ 27 StGB i.V.m. § 181a StGB).
Nach § 232a StGB (Zwangsprostitution, BGBl. 2021) drohen Freiheitsstrafen bis 10 Jahre, wenn Zwangslagen ausgenutzt werden.
Gerade im Sugar-Dating-Segment ist die Abgrenzung schwierig:
Emotionale Abhängigkeit und ökonomischer Druck können Tatbestände auslösen, ohne dass physische Gewalt vorliegt.
Zudem gilt § 130 OWiG (Unternehmenspflichten):
Unterlässt eine Plattform ausreichende Präventions- oder Kontrollmaßnahmen, trifft sie Organisationsverschulden.
Die Staatsanwaltschaften stützen sich zunehmend auf digitale Zahlungsflüsse, um Beihilfehandlungen nachzuweisen –
eine Entwicklung, die du in deinem Projekt 370 bereits für Krypto-Transaktionen analysiert hast.
6 Steuerrechtlicher Exkurs – Digitale Umsätze und DAC7
Nach § 2 UStG (BGBl. 2022) sind Plattformbetreiber Unternehmer.
Das Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG) verpflichtet sie, alle transaktionsrelevanten Daten zu melden (Seer, IWB 2025, 479 ff.; Klink/Sixt, DStR 2022, 2646 ff.).
Ab 2026 greift zusätzlich die DAC8-Richtlinie, die auch Kryptowährungszahlungen umfasst.
Für Escort- und Sugar-Portale bedeutet das: Jede Vergütung, jedes Geschenk, jede „Aufwandsentschädigung“ wird steuerlich nachvollziehbar.
Damit verschmelzen Steuer- und Strafverfolgung: Wer nicht meldet, riskiert Ermittlungen wegen § 370 AO (Steuerhinterziehung).
Das schließt an dein Projekt 370 an – die forensische Aufarbeitung digitaler Einnahmeströme.
7 Europäische Entwicklungen – Regulierungstrend
Mit dem Digital Services Act (DSA) und der MiCA-Verordnung entsteht ein kohärentes EU-Regime,
das Plattformverantwortung auf alle digitalen Märkte ausdehnt.
Art. 34 MiCA verlangt Transparenz über Transaktionspartner – auch relevant für Plattformen, die Zahlungen für erotische Dienste vermitteln.
Der UK Online Safety Act und der US SESTA-FOSTA-Act verfolgen denselben Ansatz:
Verbot der monetären Vermittlung sexueller Inhalte ohne behördliche Registrierung (Raue/Kwiatkowski, MMR 2024).
Die EU wird mittelfristig eine einheitliche Registrierungspflicht für Anbieter digitaler Intimitätsdienste einführen –
ähnlich dem Modell des ProstSchG, aber datenschutz- und steuerintegriert.
8 Gesellschaftliche Bewertung und Kontrolllücken
BLM, KJM und FIU haben bislang kaum Zugriff auf algorithmisch gesteuerte Plattformen.
Der Markt agiert dezentral, global und in Echtzeit – klassische Aufsichtsinstrumente greifen nicht.
Damit entsteht eine digitale Schattenwirtschaft der Nähe:
Sie generiert Milliardenumsätze, entzieht sich aber der Sozialversicherung, Steueraufsicht und Opferhilfe.
Wie schon in deinem Artikel „Fehlende Regulierung der Sexarbeit“ gilt:
Wenn der Staat keine Strukturen schafft, wird Regulierung von Algorithmen übernommen –
nach Markt-, nicht nach Rechtslogik.
9 Fazit – Verantwortung im digitalen Raum
Plattformen, die Nähe und Zuwendung monetarisieren, tragen rechtliche Verantwortung.
Das Providerprivileg endet dort, wo Vermittlung beginnt.
Art. 9 DSGVO, § 181a StGB und DAC7 bilden gemeinsam ein neues Haftungs-Dreieck:
Datenschutz → Strafrecht → Steuerrecht.
Digitale Prostitution, Sugar-Dating und Virtual-Girlfriend-Dienste sind juristisch nicht Ausnahme,
sondern Blaupause für die Regulierung kommender digitaler Märkte.
Recht ist nicht die Bremse der Digitalisierung, sondern ihre ethische Architektur.
Call-to-Action
Sie beraten oder betreiben eine Plattform, die emotionale oder intime Dienstleistungen vermittelt?
Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Frankfurt am Main,
Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR, unter 📞 0160 9955 5525 oder über
hortmannlaw.com/contact.
Fundstellen (Autorisiert und integriert)
(1) Paschke/Roggenkamp, jurisPK-Internetrecht 8. Aufl. 2024, Kap. 1.4.
(2) Raue/Kwiatkowski, MMR 2024, 133 ff.
(3) § 181a StGB, BGBl. I 2015.
(4) Heckmann/Scheurer, jurisPK-Internetrecht 8. Aufl. 2024, Kap. 9.
(5) § 232a StGB, BGBl. I 2021.
(6) § 27 StGB, BGBl. I 1998.
(7) Seer, IWB 2025, 479 ff.
(8) IWW Institut, AStW 2023, 151 ff.
(9) Klink/Sixt, DStR 2022, 2646 ff.
(10) § 2 UStG, BGBl. I 2022.
🩸 Beiträge im Überblick
2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.
3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.
4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.
5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.
6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.
7️⃣ Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
§ 181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?
8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.
9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.
🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.
🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution
Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.
💎 Beiträge im Überblick
1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.
2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.
3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.
4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.
5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.
6️⃣ Plattformhaftung und Vermittlungsverantwortung – digitale Zuhälterei 2.0
Grenzen der Betreiberhaftung nach § 181a StGB im digitalen Raum.
7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.
8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.
9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.
🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.