AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz

Verfasst von
Max Hortmann
09 Nov 2025
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AI-Avatare, Virtual Girlfriends und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz

1  Einleitung – Digitale Körper, synthetische Nähe

Sexualität wird softwarebasiert. Was einst reale Interaktion zwischen Menschen voraussetzte, entsteht heute in neuronalen Netzwerken, generativen Modellen und animierten Interfaces. Virtuelle Influencer, AI-Avatare und sogenannte Virtual Girlfriends verkörpern die neue Währung digitaler Intimität: Aufmerksamkeit, Zuwendung und Gesprächszeit. Sie sind Teil einer sich formierenden Intimitätsökonomie, in der künstliche Körper und Stimmen als Dienstleistung angeboten werden.

Die rechtliche Bewertung dieser Entwicklung stellt den Gesetzgeber vor Fragen, die keine analoge Entsprechung kennen. Wie weit reicht die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG bei KI-Eros und synthetischer Nacktheit? Wann beginnt strafrechtlich relevante Pornografie nach §§ 184 ff. StGB, wenn die Darsteller gar nicht existieren? Und wie sind Plattformen zu behandeln, die diese Avatare monetarisieren, abonniert oder geliebt wie Menschen?

Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.

2  Rechtsrahmen – Zwischen Art. 5 Abs. 3 GG und §§ 184 ff. StGB

Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG schützt auch digitale und KI-generierte Darstellungen, solange sie als künstlerischer Ausdruck verstanden werden. Das Bundesverfassungsgericht betont den weiten Schutzbereich, der jede formgebundene Äußerung menschlicher Gestaltungskraft erfasst. Doch dieser Schutz endet dort, wo die sexuelle Selbstbestimmung anderer oder der Jugendschutz berührt wird.

§ 184 b StGB stellt die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte unter Strafe und erfasst seit der Reform 2021 auch „vollständig virtuelle Darstellungen“ (§ 11 Abs. 3 StGB). Damit unterliegen selbst fiktionale Bilder, wenn sie den Eindruck echter sexueller Handlungen von Kindern erwecken, dem Strafrecht (Völzmann, ZUM 2025, 493 ff.).

Auch § 184 d StGB fasst das Verbreiten pornografischer Darbietungen über Telemedien und Plattformen weit. Ob Avatare oder Virtual Girlfriends echte Personen simulieren oder nicht, ist dabei unerheblich (Hopf/Braml, ZUM 2007, 354 ff.). Das entscheidende Kriterium bleibt die sexuelle Objektivierung und die Möglichkeit, dass Inhalte gegen die Menschenwürde wirken.

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) und der Medienstaatsvertrag (MStV) verlangen Altersverifikationssysteme und Risikobewertungen für Plattformen, die erotische KI-Darstellungen anbieten. Die Trennlinie zwischen „Kunst“ und „Pornografie“ wird so nicht ästhetisch, sondern funktional bestimmt – nach Vertriebsform, Adressat und Monetarisierung.

3  Plattformverantwortung – DSA und Hosting-Pflichten

Nach Art. 14 bis 17 DSA sind Plattformen verpflichtet, illegale Inhalte zu identifizieren, zu entfernen und präventiv zu prüfen. Für KI-basierte Erotikportale bedeutet das eine Pflicht zur Inhaltsmoderation und Risikobewertung (Paschke/Roggenkamp, jurisPK-Internetrecht 8. Aufl. 2024, Kap. 1.4). Das frühere Providerprivileg des § 7 TMG greift nicht mehr, weil diese Dienste nicht neutral hosten, sondern algorithmisch verstärken und wirtschaftlich profitieren.

Virtual-Girlfriend-Apps nutzen KI, um Konversationen und emotionale Bindungen zu simulieren. Sie werben mit Zuwendung, nicht mit Kunst. Damit verwandelt sich das Gespräch in eine Leistung gegen Entgelt – und die Plattform in einen Vermittler digitaler Intimität im Sinne des § 181 a StGB. Wirtschaftlich beteiligte Anbieter werden so Teil der Förderkette digitaler Prostitution.

4  Datenschutzrechtliche Dimension – Deepfake und Art. 9 DSGVO

KI-Erotik verarbeitet besonders sensible Daten (sexuelle Orientierung, Gesichts-, Stimm- und Körperscans). Nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO bedarf diese Verarbeitung einer ausdrücklichen Einwilligung. Fehlt sie, liegt ein schwerer Verstoß vor.

„Virtual Girlfriend“-Modelle verwenden oft realistische Avatare, die auf Trainingsdaten echter Personen basieren. Werden dabei Gesichter oder Stimmen reproduziert, ohne Einwilligung, entsteht ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Heckmann/Scheurer, jurisPK-Internetrecht Kap. 9). Aufsichtsbehörden bewerten solche Praktiken bereits als Verletzung von Art. 82 DSGVO (Schadensersatzpflicht).

Damit spiegelt die KI-Erotik exakt die Datenschutzkonflikte, die du in „DeFi-Compliance und Datenschutz“ analysiert hast: Technologische Innovation steht im Widerspruch zur Autonomie der Betroffenen.

5  Strafrechtliche Verantwortung – Virtuelle Pornografie als Straftatbestand

§ 184 b StGB erfasst seit 2021 auch vollständig virtuelle Darstellungen sexueller Handlungen von Kindern. Damit kann bereits ein KI-generiertes Bild Tatobjekt sein (Völzmann a.a.O.). § 184 d StGB sanktioniert das Verbreiten pornografischer Darbietungen über Telemedien, gleichgültig, ob die Akteure real oder synthetisch sind.

Strafrechtliche Haftung trifft nicht nur Ersteller, sondern auch Plattformen, die diese Inhalte organisieren oder monetarisieren (§ 27 StGB, § 130 OWiG). § 232 a StGB (Zwangsprostitution) wird relevant, wenn reale Models verpflichtet werden, ihre Avatare unter Zwang zu betreiben – eine digitale Form der Ausbeutung.

6  Zivil- und Urheberrechtliche Aspekte – Rechte am digitalen Körper

Werden Avatare nach reellen Menschen modelliert, entsteht ein Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht (§§ 22 KUG, 823 BGB). Deepfakes verletzen das Recht am eigenen Bild und die sexuelle Selbstbestimmung. Das AG Hamburg hat bereits 2023 einen Unterlassungsanspruch für virtuelle Sexdarstellungen realer Personen anerkannt.

Auch Urheberrechte an synthetischen Avataren sind umstritten. Der Ersteller des Trainingsmodells kann nicht automatisch Urheber sein; entscheidend ist die menschliche Gestaltungshöhe. Plattformen müssen vertraglich klären, wer Inhaber der Nutzungsrechte ist. Andernfalls drohen Doppellizenzen und Persönlichkeitsklagen.

Der Vergleich zu Escort- und Sugar-Babe-Profilen zeigt: Auch hier wird Nähe simuliert, Vertrauen verkauft und rechtlich als Dienstleistung behandelt.

7  Steuer- und Gewerberechtlicher Exkurs – Monetarisierung virtueller Erotik

Einnahmen aus KI-Erotik sind regelmäßig gewerblich (§ 15 EStG). Ab 2026 müssen Plattformen nach DAC7/DAC8 sämtliche Transaktionen melden (Seer, IWB 2025, 479 ff.). Wer Einnahmen aus Abo- oder Token-Systemen verschleiert, riskiert Ermittlungen nach § 370 AO. Projekt 370 hat diese Schnittstelle zwischen digitalem Markt und Steuerstrafrecht bereits analysiert: die Intimitätsökonomie als Steuerrisiko.

8  Europäische und Internationale Regulierung

Der DSA verpflichtet Plattformen zur Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten und zur Offenlegung ihrer Algorithmen. Der EU-KI-Act (2025/2026) klassifiziert erotische Deepfakes als „High-Risk-Systeme“.
Vergleichbar reagieren andere Rechtsordnungen: Der UK Online Safety Act fordert Content-Labeling, der US SESTA-FOSTA verknüpft Strafrecht und Plattformhaftung, Südkorea regelt KI-Avatare im „AI Human Image Protection Act“.
Europa tendiert zur Verzahnung von KI-, Datenschutz- und Medienaufsicht – die juristische Infrastruktur der digitalen Intimität nimmt Form an.

9  Gesellschaftliche und Ethische Bewertung

Mit der Entkörperlichung von Sexualität droht eine Entgrenzung von Verantwortung. „Virtual Girlfriends“ versprechen emotionale Nähe ohne Risiko und trainieren gleichzeitig emotionale Abhängigkeit. Die Normalisierung von Deepfake-Pornografie verändert die Wahrnehmung von Intimität und Konsens.

Die rechtliche Regulierung dieser Phänomene muss sicherstellen, dass technische Freiheit nicht zur Entwertung menschlicher Autonomie führt. Wie schon bei der analogen Sexarbeit zeigt sich auch hier: Fehlende Regulierung produziert Schattenmärkte, keine Freiheit.

10  Fazit

Virtuelle Sexarbeit ist die juristische Nagelprobe für das digitale Zeitalter. Kunstfreiheit endet dort, wo KI die Grenzen zwischen Fiktion und Ausbeutung verwischt. Datenschutz, Strafrecht und Steuerrecht bilden das neue Regelwerk digitaler Intimität.

Recht ist nicht die Bremse der Digitalisierung, sondern ihre ethische Architektur.

11  Call-to-Action

Sie entwickeln oder betreiben KI-gestützte Plattformen für digitale Interaktion oder virtuelle Begleitung?
Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Frankfurt am Main, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR, 📞 0160 9955 5525 oder über hortmannlaw.com/contact.

12  Fundstellen

  1. Paschke/Roggenkamp, jurisPK-Internetrecht 8. Aufl. 2024, Kap. 1.4.
  2. Heckmann/Scheurer, jurisPK-Internetrecht 8. Aufl. 2024, Kap. 9.
  3. Berit Völzmann, Deep-Fake-Pornographie, ZUM 2025, 493 ff.
  4. Kristina Hopf / Birgit Braml, Virtuelle Kinderpornographie, ZUM 2007, 354 ff.
  5. Raue/Kwiatkowski, Der UK Online Safety Act im Vergleich mit dem DSA, MMR 2024, 133 ff.
  6. Seer, Das Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG), IWB 2025, 479 ff.
  7. EU-KI-Act 2025 (EUR-Lex-Entwurf).
  8. DSA (VO (EU) 2022/2065).
  9. Projekt 370 – Hortmann 2025.

🩸 Beiträge im Überblick

1️⃣ Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
Wie Plattformen rechtliche Verantwortlichkeiten verschieben und wann Moderation zur Beihilfe wird.

2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.

3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.

5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.

6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.

7️⃣Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
§ 181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?

8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.

9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.

🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.

🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution

Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.

💎 Beiträge im Überblick

1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.

2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.

3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.

5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.

7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.

8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.

9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.

🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.

Weitergehend:

Klage bei Täuschung im Sugar-Dating – WannSie rechtlich gegen Fake-Beziehungen vorgehen können
https://www.hortmannlaw.com/articles/klage-sugar-dating-betrug    

Klage gegen die Bank bei Love-Scam, Krypto-und Anlagebetrug – Gerichtspraxis statt Theorie
https://www.hortmannlaw.com/articles/klage-gegen-die-bank-betrug              

Love Scam und Crypto.com – Haftet diePlattform trotz AGB? Anwalt hilft Opfern
https://www.hortmannlaw.com/articles/love-scam-crypto-com-haftung-agb              

Love Scam und Opferrechte – Schadensersatz,Nebenklage, psychologische Hilfe
https://www.hortmannlaw.com/articles/love-scam-opferrechte-anwalt          

Love Scam: Künstliche Intelligenz undChatbots als Täuschungswerkzeug
https://www.hortmannlaw.com/articles/ki-love-scam  

Max Hortmann
Rechtsanwalt
,
Hortmann Law

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