Sugar-Arrangements als juristischer Graubereich – Wann Zuwendungen rechtlich wirksam sind und wann Täuschung vorliegt
Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.
1 Einleitung – Geld, Nähe und Erwartung
Sugar-Arrangements sind die vielleicht schärfste juristische Grenzlinie zwischen Privatbeziehung und wirtschaftlicher Transaktion.
Unter Begriffen wie „Unterstützung“, „Mentoring“ oder „Lifestyle-Vereinbarung“ werden regelmäßig Zuwendungen vereinbart, die an persönliche Begegnungen gekoppelt sind – teils mit, teils ohne sexuelle Komponente.
Der rechtliche Kernkonflikt liegt im Verhältnis von Zuwendung und Gegenleistung:
Wann ist eine Zuwendung Ausdruck persönlicher Zuneigung, wann Entgelt im Rechtssinn, und wann bloß Mittel der Täuschung?
Das Gesetz bietet Antworten, doch die Praxis kennt Zwischenformen: Emotionale Bindung als Vertragsrahmen, Intimität als Gegenleistung und Schweigen als Geschäftsmodell.
Dieser Beitrag zeigt, wann Sugar-Arrangements rechtlich wirksam sind, wann sie unter das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) fallen und wann sie als Täuschung oder sittenwidriges Geschäft zu qualifizieren sind.
2 Rechtlicher Rahmen – Zuwendung, Entgelt, Sittenwidrigkeit
2.1 Die rechtliche Wertung der Zuwendung
Zuwendungen sind nach § 516 BGB Schenkungen, wenn sie ohne Gegenleistung erfolgen.
Besteht jedoch ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Zuwendung und Verhalten der empfangenden Person, etwa der Teilnahme an Treffen oder sexuellen Handlungen, verliert die Schenkung ihren unentgeltlichen Charakter.
Nach dem BGH (Urt. v. 28. 05. 2009 – Xa ZR 9/08) kann eine Zuwendung mit Bedingung oder Erwartung („für den Fall, dass …“) ihre Unentgeltlichkeit verlieren.
Wird die Zahlung von einem bestimmten Verhalten abhängig gemacht, entsteht eine Leistungspflicht, nicht bloß eine Schenkung (Schulze, LMK 2010, 297277).
2.2 ProstSchG und die Entkriminalisierung
Seit Inkrafttreten des ProstSchG (BGBl I 2016, 2372) ist der Austausch „sexuelle Handlung gegen Entgelt“ nicht mehr sittenwidrig.
Das bedeutet: Solange beide Seiten freiwillig handeln, ist eine Vereinbarung über Sex gegen Geld zivilrechtlich wirksam.
Problematisch wird es, wenn der wirtschaftliche Vorteil nicht offen vereinbart, sondern emotional getarnt wird.
Dann droht eine Rückstufung in die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) – etwa, wenn Zuwendungen unter Vorspiegelung emotionaler Bindung erschlichen werden.
3 Täuschung – Der Grenzfall zwischen Vertrauen und Bereicherung
3.1 Arglistige Täuschung (§ 123 BGB)
Täuschung liegt vor, wenn eine Partei falsche Tatsachen vorgibt oder wesentliche Umstände verschweigt, um den anderen zu einer Vermögensverfügung zu bewegen.
Im Kontext von Sugar-Arrangements betrifft das etwa:
- vorgetäuschte emotionale Zuneigung oder Exklusivität,
- fiktive Notlagen, Schulden oder Verpflichtungen,
- Versprechen langfristiger Beziehung, Heirat oder „gemeinsamer Zukunft“.
Wer durch solche Manipulationen Zuwendungen erlangt, begeht zivilrechtlich eine Täuschung, strafrechtlich potenziell Betrug (§ 263 StGB).
Die Rechtsfolge im Zivilrecht: Anfechtbarkeit der Zuwendung und Rückforderung nach § 812 BGB.
3.2 Täuschung über Zweck oder Gegenleistung
Wenn Zahlungen geleistet werden, weil der Zahler glaubt, eine echte Beziehung zu finanzieren, während tatsächlich sexuelle Dienstleistungen intendiert sind,
liegt ein „Täuschung über den Vertragszweck“ vor.
Das führt zur Nichtigkeit (§ 134 BGB i.V.m. § 1 ProstG a.F.) oder – wenn beide Seiten Kenntnis haben – zur Anwendung des ProstSchG.
Der Übergang ist fließend:
- Emotion als Täuschungsmittel → Betrug.
- Entgelt für Sexualität → Prostitution.
- Unentgeltliche Unterstützung → Schenkung.
4 Zivilrechtliche Rückabwicklung und Beweislast
4.1 Rückforderung nach § 812 BGB
Leistungen ohne Rechtsgrund können nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückgefordert werden.
Fehlt ein Rechtsgrund (weil Täuschung oder Sittenwidrigkeit vorliegt), entsteht ein Rückzahlungsanspruch.
Allerdings gilt der Grundsatz „in pari delicto“ (§ 817 S. 2 BGB):
Wer selbst gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßen hat, kann seine Leistung nicht zurückfordern.
Damit sind Rückforderungen in Fällen, in denen beide Seiten den täuschenden oder sittenwidrigen Charakter kannten, ausgeschlossen.
4.2 Beweisproblematik
In der Praxis ist der Nachweis der Täuschung schwierig:
- Emotionale Kommunikation ersetzt Verträge.
- Absprachen sind informell oder verschlüsselt.
- Plattformkommunikation wird gelöscht oder anonymisiert.
Beweisführung gelingt nur über Zahlungsbelege, Chatverläufe und Aussagen.
Die Erfahrung zeigt, dass Gerichte hier zunehmend bereit sind, indiziell zu entscheiden: Eine unplausible Kette von Überweisungen bei fehlender realer Beziehung gilt als Täuschungsbeleg.
5 Abgrenzung zur Prostitution
5.1 Entgeltliche Sexualität (§ 2 ProstSchG)
Wenn sexuelle Handlungen gegen Zuwendung erbracht werden, liegt Prostitution im Sinne des Gesetzes vor.
Dann greifen die Schutzmechanismen des ProstSchG: Anmeldung, Beratung, Besteuerung.
5.2 Emotionale Beziehungen und Schenkungen
Zuwendungen ohne Leistungsversprechen sind dagegen nicht regulierungsbedürftig.
Sie können als Schenkungen (§ 516 BGB) behandelt werden – es sei denn, sie dienen verschleiert der Vergütung von Sexualität.
Die Differenz liegt im Motiv:
- Zuwendung wegen Zuneigung → Schenkung.
- Zuwendung für Sexualität → Prostitution.
- Zuwendung durch Täuschung → Betrug / Anfechtung.
6 Steuerliche Behandlung
Zuwendungen sind steuerlich relevant, sobald sie als Einkommen erzielt werden:
- Prostitutionseinnahmen → Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG).
- Geschenke ohne Gegenleistung → ggf. Schenkungssteuer (§ 7 ErbStG).
- Täuschungsbedingte Zuwendungen → können Rückabwicklungsansprüche auslösen,
die steuerlich zu berichtigen sind (Rückwirkungsfiktion nach § 175 AO).
BFH (III R 30/10, HFR 2012, 959) bestätigt: Auch selbstbestimmte Sexarbeit ist steuerpflichtig.
Sugar-Arrangements, die als „private Unterstützung“ deklariert werden,
verbergen daher oft faktisch nicht erklärte Einkünfte – ein Risiko für beide Seiten.
7 Strafrechtliche Aspekte – Ausbeutung und Zuhälterei
Wenn wirtschaftliche oder persönliche Abhängigkeit ausgenutzt wird, greifen die Strafnormen der §§ 180a, 181a StGB:
- § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB: „Ausbeutung der Prostitution“.
- § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB: „Förderung der Prostitution“ durch Kontrolle oder wirtschaftliche Einflussnahme.
BGH (3 StR 320/86) stellte klar, dass „Ausbeutung“ nicht körperliche Gewalt erfordert –
ökonomische Abhängigkeit genügt.
Gerade bei Sugar-Daddy-Beziehungen kann das relevant werden, wenn eine Partei den Lebensunterhalt der anderen vollständig finanziert und dadurch Kontrolle ausübt.
8 Gesellschaftliche Dimension – Täuschung als Strukturprinzip
Sugar-Dating-Plattformen fördern die Romantisierung der Ökonomie: Geld als Ausdruck von Fürsorge, Nähe als Anreiz zur Zahlung.
Diese semantische Verschmelzung ist juristisch gefährlich, weil sie Täuschung legitimiert.
Der Rechtsschutz hinkt hinterher:
- Das Strafrecht greift nur bei offensichtlichem Betrug.
- Das Zivilrecht verlangt Beweis für Täuschung.
- Das Steuerrecht sieht nur Geld, nicht Emotion.
Damit bleibt Sugar-Dating eine Grauzone der Verantwortung:
rechtlich erfasst, aber sozial unsanktioniert; ökonomisch relevant, aber moralisch neutralisiert.
9 Fazit
Sugar-Arrangements sind keine rechtliche Terra incognita, sondern ein Feld überlagerter Normen:
Zivilrecht, Strafrecht, Steuerrecht und das ProstSchG greifen ineinander – aber ohne systemische Klarheit.
Rechtlich wirksam sind Zuwendungen, wenn sie auf freiwilliger, transparenter Vereinbarung beruhen.
Täuschung liegt vor, wenn Geld unter Vorspiegelung persönlicher Bindung oder fiktiver Notlagen erlangt wird.
Wo Sexualität zur Gegenleistung wird, gilt Prostitution – mit allen Schutz- und Pflichtenfolgen.
Recht ist nicht die Bremse der Digitalisierung, sondern ihre ethische Architektur.
Fundstellen
- BGBl I 2016, 2372 – Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes.
- Schulze, Anm. BGH Xa ZR 9/08, LMK 2010, 297277.
- BGH Urt. v. 08. 10. 1986 – 3 StR 320/86.
- BGH Urt. v. 22. 09. 1982 – 3 StR 300/82.
- BFH Urt. v. 15. 03. 2012 – III R 30/10, HFR 2012, 959.
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