Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?

Verfasst von
Max Hortmann
09 Nov 2025
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Zwischen Nähe und Leistung

Ob Sugar-Babe-Beziehungen arbeitsrechtlich Schutz erfordern – oder eine rechtliche Leerstelle bilden

Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.

1. Einleitung – Intimität als Erwerbsform

Sugar-Dating bewegt sich zwischen Beziehung und Leistung.
Zuwendung wird in Geld vergütet, Zeit in Aufmerksamkeit umgerechnet – und emotionale Nähe wird zur Gegenleistung.
Die gesellschaftliche Wahrnehmung reicht von „modernen Beziehungsmodellen“ bis zu „verdeckter Sexarbeit“.
Juristisch jedoch bleibt unklar, ob diese Beziehungen als private Arrangements, als selbstständige Tätigkeiten oder als arbeitsrechtlich relevante Beschäftigung zu qualifizieren sind.
Der Beitrag fragt, ob Personen, die dauerhaft und gegen Entgelt emotionale oder körperliche Nähe anbieten, arbeitnehmerschutzrechtlich erfasst werden können – oder ob hier eine Leerstelle des Arbeitsrechts entstanden ist, in der Intimität zur Grauzone wird.

2. Die Struktur der Sugar-Babe-Beziehung – persönliche Abhängigkeit als Schlüssel

Typischerweise besteht ein wiederkehrendes Austauschverhältnis:
Eine Person („Sugar Daddy“) leistet finanzielle Unterstützung, während die andere („Sugar Babe“) Aufmerksamkeit, Begleitung oder intime Begegnungen anbietet.
Die Kommunikation, Erwartungshaltung und Bezahlung erfolgen häufig über Plattformen, die Matching und Kontaktaufnahme organisieren.
Entscheidend ist, dass die Tätigkeit regelmäßig, fremdbestimmt und entgeltlich sein kann – klassische Kriterien des § 611a BGB.
Zwar fehlt meist ein formeller Vertrag, doch die tatsächliche Abhängigkeit kann funktional einem Arbeitsverhältnis entsprechen, wenn die leistende Person in fremder Bestimmung agiert und wirtschaftlich unselbstständig ist.

3. Freiwilligkeit oder verdeckte Beschäftigung?

Das zentrale juristische Problem liegt in der Ambivalenz von Freiwilligkeit:
Viele „Babes“ treten formal selbstbestimmt auf – in Wahrheit aber unterliegen sie ökonomischem Druck, sozialer Kontrolle und digitaler Überwachung.
Plattformen ermöglichen Bewertungen, Rankings und Sichtbarkeitsmechanismen, die Verhalten steuern.
Wenn Leistungsumfang, Kommunikationsrhythmus oder Verfügbarkeit faktisch von der Gegenpartei oder Plattform bestimmt werden, spricht dies gegen echte Selbstständigkeit.
Arbeitsrechtlich ist maßgeblich, ob persönliche Abhängigkeit besteht – nicht, ob der Vertrag so genannt wird.
Das Arbeitsrecht schützt die reale Position, nicht die Etikette der Beziehung.

4. Arbeitsrechtliche Kriterien – zwischen Dienstleistung und Fremdbestimmung

Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Arbeitsverhältnis vor, wenn jemand weisungsgebunden, fremdbestimmt und persönlich abhängig tätig ist (§ 611a Abs. 1 BGB).
Auf Sugar-Babe-Beziehungen übertragen bedeutet das:

  • Wird erwartet, dass bestimmte Treffen, Kommunikationszeiten oder Inhalte eingehalten werden, entsteht eine faktische Weisungsbindung.
  • Werden Vergütungen regelmäßig und erfolgsabhängig gezahlt, kann ein Entgeltanspruch im Sinne von § 611 BGB bestehen.
  • Besteht eine Berichtspflicht, Kontrolle oder Verpflichtung zur Erreichbarkeit, spricht das für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.

Das Arbeitsrecht fragt also nicht nach der Moral des Arrangements, sondern nach dessen sozialer Funktion: Wer ist wirtschaftlich abhängig, wer übt Kontrolle aus?

5. Sozialrechtliche Folgen – Versicherung, Steuer, Schutzpflichten

Sollte eine Sugar-Babe-Beziehung als Beschäftigungsverhältnis qualifiziert werden, ergeben sich unmittelbare sozialrechtliche Konsequenzen:

  • Beitragspflicht zur Sozialversicherung (Kranken-, Renten-, Arbeitslosenversicherung),
  • Lohnsteuerpflicht für den Zahlenden,
  • Arbeitsschutz- und Fürsorgepflichten gemäß §§ 618 ff. BGB.

Gleichzeitig können Plattformen in den Fokus geraten, wenn sie als faktische Arbeitgeber agieren – etwa durch technische Steuerung, Auszahlungssysteme oder Vertragsvorgaben.
Fehlt eine Einordnung, entsteht ein Zustand rechtlicher Unsichtbarkeit: kein Arbeitsvertrag, keine Absicherung, keine Rechtsdurchsetzung.
Diese Schutzlücke betrifft vor allem junge oder sozial schwächere Nutzerinnen, deren Tätigkeit weder als Beschäftigung noch als Selbstständigkeit anerkannt wird.

6. Datenschutz- und Aufsichtsrecht – Macht durch Daten

Sugar-Plattformen sammeln umfangreiche personenbezogene Daten: Identitäts-, Kommunikations- und Zahlungsinformationen.
Sie steuern Sichtbarkeit und Matching-Erfolg algorithmisch – und verfügen damit über das effektivste Druckmittel überhaupt: den Zugang zum Markt.
Wer Abhängigkeit über Daten organisiert, übt Kontrolle aus.
Arbeits- und Datenschutzrecht überschneiden sich hier:
Ein Arbeitgeber, der algorithmisch Verhalten bewertet, unterliegt der DSGVO und § 26 BDSG.
Doch Plattformen, die keine Arbeitgeber sein wollen, entziehen sich dieser Kontrolle – ein typisches Beispiel für die institutionelle Flucht aus der Verantwortung.
So entsteht ein neues Machtgefälle, das weder vom Arbeitsrecht noch vom Datenschutz effektiv reguliert wird.

7. Rechtspolitische Bewertung – Intimität als ungeschützter Arbeitsbereich

Das Arbeitsrecht schützt körperliche und geistige Arbeit, nicht emotionale oder sexuelle.
Diese Lücke war intentional – sie sollte den privaten Bereich vom Erwerbsleben trennen.
Im digitalen Kontext aber verwischt diese Grenze.
Emotionale Arbeit, Begleitung, Aufmerksamkeit und digitale Zuwendung sind längst Teil der Plattformökonomie.
Wenn diese Leistungen regelmäßig und entgeltlich erbracht werden, entsteht eine Form emotionaler Erwerbsarbeit ohne rechtliche Infrastruktur.
Die Folge ist ein paradoxes Schutzgefälle:
Je privater eine Tätigkeit erscheint, desto ungeschützter ist sie – obwohl sie ökonomisch verwertet wird.

8. Reformbedarf – von der Beziehung zum Beschäftigungsmodell

Ein zeitgemäßes Arbeitsrecht muss neue Formen von Abhängigkeit erfassen:

  • Plattformbasierte Intimität sollte denselben Schutzstandard genießen wie Plattformarbeit im Logistik- oder Kreativsektor.
  • Algorithmische Steuerung darf nicht länger als private Vermittlung gelten, wenn sie Verhalten faktisch vorgibt.
  • Ein Registermodell nach dem Vorbild des ProstSchG könnte Transparenz und Versicherungsschutz schaffen, ohne Moral zu kodifizieren.

Entscheidend ist die Erkenntnis:
Nicht die Sexualität selbst ist schutzwürdig, sondern die Abhängigkeit, in der sie ökonomisch instrumentalisiert wird.

9. Fazit – Zwischen Privatsphäre und Erwerbsarbeit

Sugar-Babe-Beziehungen markieren die Grenzlinie zwischen Intimität und Ökonomie.
Sie zeigen, dass emotionale und sexuelle Dienstleistungen längst Teil der Erwerbssphäre geworden sind – ohne arbeitsrechtliche Anerkennung oder Schutz.
Wo Kontrolle, Regelmäßigkeit und wirtschaftliche Abhängigkeit bestehen, sollte das Arbeitsrecht greifen – unabhängig vom moralischen Kontext.
Solange diese Realität ignoriert wird, bleiben Betroffene rechtlich schutzlos in einer Grauzone zwischen Beziehung und Beschäftigung.
Das Recht steht damit vor derselben Aufgabe wie beim Plattform-Ridesharing oder der Gig-Economy:
Autonomie ernst zu nehmen, ohne Abhängigkeit zu romantisieren.

Verfasser:
Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann
Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR

🩸 Beiträge im Überblick

1️⃣ Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
Wie Plattformen rechtliche Verantwortlichkeiten verschieben und wann Moderation zur Beihilfe wird.

2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.

3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.

5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.

6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.

7️⃣ Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
§ 181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?

8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.

9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.

🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.

🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution

Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.

💎 Beiträge im Überblick

1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.

2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.

3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.

5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.

6️⃣ Plattformhaftung und Vermittlungsverantwortung – digitale Zuhälterei 2.0
Grenzen der Betreiberhaftung nach § 181a StGB im digitalen Raum.

7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.

8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.

9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.

🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.

Max Hortmann
Rechtsanwalt
,
Hortmann Law

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