Plattformen verdienen an Sugar-Arrangements.
Wann das juristisch zur Zuhälterei wird – eine Analyse zu § 181a StGB
Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.
1. Einleitung – Die Ökonomisierung der Intimität
Sugar-Dating-Plattformen bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Beziehung und Dienstleistung.
Sie werben mit „gegenseitigem Nutzen“, „emotionalem Sponsoring“ oder „Lifestyle-Begleitung“ – und verschleiern damit oft ökonomische Austauschverhältnisse, die in ihrer Struktur der Prostitution nahekommen.
Was als private Vereinbarung beginnt, wird durch technische Vermittlung, algorithmisches Matching und Zahlungsfunktionen zur marktförmigen Intimität.
Die Plattform profitiert ökonomisch von der Abhängigkeit zwischen den Beteiligten.
Der entscheidende Punkt: Sobald dieses Geschäftsmodell planmäßig und eigensüchtig auf die Ausbeutung sexueller Dienstleistungen ausgerichtet ist, kann es den Tatbestand der Zuhälterei nach § 181a StGB erfüllen.
Dieser Beitrag untersucht, wann Plattformarchitekturen juristisch relevant werden – und warum sie nicht länger als bloße Kommunikationsräume gelten dürfen.
2. Struktur des § 181a StGB – Ausbeutung und dirigistische Kontrolle
§ 181a StGB schützt die sexuelle Selbstbestimmung vor wirtschaftlicher Vereinnahmung.
Tatbestandsvoraussetzungen sind insbesondere:
- Ausbeutung der Prostituierten, also eigennützige Nutzung fremder sexueller Handlungen als Einkommensquelle,
- dirigistische Zuhälterei, wenn Ort, Zeit, Ausmaß oder Art der Prostitution überwacht oder bestimmt werden,
- und die dauerhafte Beziehungsstruktur zwischen Täter und Opfer.
Der Zweck der Norm liegt im Schutz persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit.
Juristisch ist nicht entscheidend, ob sexuelle Handlungen freiwillig erfolgen, sondern ob sie unter struktureller Kontrolle oder Abhängigkeit stehen.
Genau hier setzt die Plattformökonomie an: durch Steuerung, Vermittlung und Monetarisierung ohne eigene physische Beteiligung.
3. Plattformlogik – Digitale Steuerung analoger Handlungen
Sugar-Dating-Portale inszenieren Intimität als ökonomisches Arrangement.
Sie bestimmen durch ihre Nutzungsbedingungen, Algorithmen und Gebührenmodelle, wer sichtbar ist, welche Profile bevorzugt werden und wie Kontaktaufnahme vergütet wird.
Die Plattform kontrolliert damit faktisch Ort, Zeit und Modalität des Kontakts – Elemente, die § 181a StGB ausdrücklich als Merkmale der dirigistischen Zuhälterei benennt.
Zudem fließt ein prozentualer Anteil jedes vermittelten Treffens oder Geschenks an den Betreiber – eine indirekte Beteiligung an den Erträgen sexueller Dienstleistungen.
Das Geschäftsmodell verlagert den Kontrollbegriff von der physischen zur algorithmischen Dimension: digitale Zuhälterei durch technische Steuerung.
4. Ökonomische Beteiligung – Eigensucht und Ausbeutung
Eigensucht ist das zentrale Unterscheidungsmerkmal zwischen Plattformdienstleistung und strafbarer Beteiligung.
Wer an den Einnahmen aus sexuellen Handlungen unmittelbar oder mittelbar profitiert, nutzt fremde Sexualität als Erwerbsquelle.
Viele Sugar-Plattformen verlangen „Premium-Gebühren“ oder „Matching-Provisions“, die von der Interaktionshäufigkeit abhängen.
Damit wird die Sexualitätsausübung zur ökonomischen Kennzahl.
Kommt hinzu, dass Plattformen in ihren AGB Vergütungsmodalitäten oder Treffpunktvorgaben festlegen, entsteht eine dirigistische Struktur.
Die rechtliche Schwelle zur Zuhälterei ist überschritten, sobald diese Steuerung die Selbstbestimmung der Nutzerin oder des Nutzers faktisch beschränkt und den Betreiber wirtschaftlich bereichert.
5. Abgrenzung zu erlaubter Vermittlung
Nicht jede Plattform, die Kontakte zwischen Erwachsenen vermittelt, fällt unter § 181a StGB.
Entscheidend ist der Grad der Einflussnahme:
- Reine Kontaktbörsen, die keine inhaltlichen oder ökonomischen Vorgaben machen, handeln nicht strafbar.
- Sobald jedoch Matching-Algorithmen gezielt nach „finanziellen Erwartungen“ sortieren oder Transaktionen technisch unterstützen, liegt eine aktive Förderung der Prostitution nahe.
- Vermittlungsportale, die selbst Zahlungen weiterleiten oder Treuhandkonten führen, treten als faktische Mittler zwischen „Sugar Daddy“ und „Sugar Babe“ auf – juristisch eine Form der Organisation von Prostitution.
Das Strafrecht zieht die Grenze dort, wo technische Strukturen Macht über persönliche Entscheidungen ausüben.
6. Fallbeispiele aus der Rechtsprechung
Die Rechtsprechung entwickelt den Tatbestand der Zuhälterei fortlaufend:
- LG Hamburg (19.12.2023) stellte fest, dass Ausbeutung auch vorliegt, wenn wirtschaftliche Abhängigkeit durch digitale Kontrolle ersetzt wird.
- LG Flensburg (28.01.2025) qualifizierte das Anweisen von Treffpunkten, das Einziehen von Provisionen und die technische Überwachung als dirigistische Zuhälterei.
- BayObLG (21.12.1976) betonte, dass bereits die spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Opfers den Ausbeutungstatbestand erfüllt.
Diese Entscheidungen zeigen: Auch ohne physische Nähe kann strukturelle Kontrolle genügen, wenn sie wirtschaftliche oder sexuelle Selbstbestimmung mindert.
7. Strafrechtliche Bewertung – Plattformen als Täter oder Teilnehmer
Für eine Strafbarkeit der Plattformbetreiber ist erforderlich, dass sie vorsätzlich handeln und die Tathandlungen der Nutzerinnen und Nutzer planmäßig fördern oder ausbeuten.
Maßgeblich sind:
- Kenntnis von der Zweckrichtung der Plattform,
- bewusste wirtschaftliche Beteiligung an sexuellen Handlungen,
- und fehlende effektive Schutzmechanismen gegen Ausbeutung.
Betreiber können sowohl als Täter (§ 25 StGB) als auch als Gehilfen (§ 27 StGB) haften, wenn sie wissentlich die Infrastruktur zur Förderung der Prostitution bereitstellen.
Zudem drohen Einziehungsmaßnahmen (§§ 73 ff. StGB), da die Plattformerlöse als aus der Tat erlangt gelten können.
8. Regulatorische Konsequenzen – Pflichten und Aufsicht
Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) verpflichtet Betreiber physischer Betriebe zur Anmeldung und Überwachung.
Digitale Plattformen entziehen sich dieser Kontrolle – oft durch Sitzverlagerung ins Ausland.
Eine effektive Regulierung müsste folgende Punkte erfassen:
- Lizenzpflicht für Online-Vermittlungen, die sexuelle Dienstleistungen fördern,
- Transparenz über Zahlungsströme, Matching-Algorithmen und Nutzersegmente,
- Meldepflichten bei Verdacht auf Ausbeutung oder Zwang.
Solange digitale Anbieter nicht denselben Pflichten wie Bordellbetreiber unterliegen, bleibt § 181a StGB ein stumpfes Schwert gegen Plattform-Zuhälterei.
9. Fazit – Digitale Zuhälterei als neues Phänomen
Sugar-Dating-Plattformen verschieben die Grenzen zwischen Beziehung, Dienstleistung und Ausbeutung.
Was als „Arrangement“ beworben wird, ist oft ein asymmetrisches Vertragsverhältnis, in dem eine Seite zahlt und die andere sich verfügbar macht.
Die Plattform profitiert doppelt: ökonomisch durch Gebühren, strukturell durch Daten.
Damit erfüllt sie die zentrale Idee des § 181a StGB – die eigensüchtige Nutzung fremder Sexualität zur eigenen Bereicherung.
Die Zukunft des Strafrechts liegt nicht in neuen Tatbeständen, sondern in der konsequenten Anwendung alter Normen auf digitale Formen der Kontrolle.
Zuhälterei braucht keine physische Nähe mehr – es genügt ein Algorithmus, der Zuneigung verwaltet und Intimität verkauft.
Verfasser:
Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann
Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR
🩸 Beiträge im Überblick
1️⃣ Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
Wie Plattformen rechtliche Verantwortlichkeiten verschieben und wann Moderation zur Beihilfe wird.
2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.
3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.
4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.
5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.
6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.
7️⃣ Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?
8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.
9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.
🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.
🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution
Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.
💎 Beiträge im Überblick
1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.
2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.
3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.
4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.
5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.
6️⃣ Plattformhaftung und Vermittlungsverantwortung – digitale Zuhälterei 2.0
Grenzen der Betreiberhaftung nach § 181a StGB im digitalen Raum.
7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.
8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.
9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.
🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.
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