Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur

Verfasst von
Max Hortmann
09 Nov 2025
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Zwischen Freiwilligkeit und Manipulation

Die juristische Dimension emotionaler und ökonomischer Abhängigkeit im Sugar-Dating

Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.

1. Einleitung – Intimität als Vertragsverhältnis

Sugar-Dating verspricht Freiwilligkeit – doch es operiert in einem Geflecht aus Macht, Erwartung und ökonomischer Abhängigkeit.
Auf Plattformen, die „gegenseitigen Nutzen“ bewerben, wird Nähe zu einer handelbaren Ressource.
Was zunächst als private Vereinbarung erscheint, wird durch technische Vermittlung, algorithmische Sichtbarkeit und monetäre Anreize zu einer Form der digitalen Dienstleistung.
Die juristische Herausforderung liegt in der Differenz zwischen Selbstbestimmung und Manipulation: Wann endet freiwillige Interaktion, wann beginnt Ausbeutung?
Zivilrechtlich kann das Verhältnis als entgeltlicher Vertrag interpretiert werden, strafrechtlich rücken jedoch Tatbestände wie Zuhälterei (§ 181a StGB), Erpressung (§ 253 StGB) oder Menschenhandel (§ 232 StGB) in den Fokus, wenn wirtschaftliche oder emotionale Abhängigkeit gezielt genutzt wird.

2. Digitale Beziehungsmärkte – Kommerzialisierte Nähe

Plattformen für Sugar-Dating verbinden emotionale Interaktion mit finanzieller Gegenleistung.
Der technische Rahmen – Matching-Algorithmen, Chat-Systeme, Zahlungsschnittstellen – schafft eine ökonomisierte Intimität.
Zuwendung wird quantifiziert, Aufmerksamkeit in Coins, Tokens oder Geschenke übersetzt.
Diese Systeme verschieben den sozialen Charakter der Beziehung in ein marktförmiges Verhältnis, in dem sich psychologische Nähe mit ökonomischen Anreizen überlagert.
Die Frage der Freiwilligkeit verliert ihren klassischen Sinn, weil Entscheidungsfreiheit in einem System entsteht, das Abhängigkeit belohnt.
Juristisch relevant ist daher nicht der moralische, sondern der strukturelle Aspekt: Wer kontrolliert die Bedingungen der Zuwendung?

3. Emotionale Abhängigkeit – Täuschung als Machtmittel

In der Praxis zeigen sich Muster, die aus der Kriminalistik digitaler Beziehungsdelikte bekannt sind:
Täter oder Plattformnutzer erschaffen eine emotionale Nähe, die als Hebel für finanzielle oder sexuelle Forderungen dient.
Diese Mechanismen ähneln dem Romance Scam, bei dem Vertrauen aufgebaut wird, um Zahlungen zu erwirken.
Der Unterschied liegt in der Einbettung: Beim Sugar-Dating erfolgt die Täuschung im Rahmen eines scheinbar legalen Modells.
Wird emotionale Zuneigung jedoch planmäßig genutzt, um ökonomische Leistungen zu erzwingen, kann eine Täuschung über Absichten im Sinne des § 263 StGB vorliegen.
Das Strafrecht greift dort, wo der Wille des Opfers nicht mehr frei gebildet wird, sondern Ergebnis psychologischer Manipulation ist.

4. Ökonomische Abhängigkeit – Von Freiwilligkeit zur Erpressung

Viele Sugar-Beziehungen basieren auf ökonomischer Ungleichheit.
Eine Partei bietet finanzielle Stabilität, die andere emotionale oder sexuelle Aufmerksamkeit.
Diese Konstellation wird problematisch, wenn die ökonomische Macht zur Kontrolle eingesetzt wird – etwa durch Drohung, Entzug von Zahlungen oder Veröffentlichung privater Inhalte.
In solchen Fällen kann Erpressung (§ 253 StGB) oder Nötigung (§ 240 StGB) vorliegen.
Die Freiwilligkeit wird faktisch aufgehoben, wenn das Opfer keine realistische Handlungsalternative hat.
Je stärker die Beziehung in ökonomische Abhängigkeit eingebettet ist, desto eher verliert sie ihre rechtliche Neutralität.
Das Strafrecht reagiert hier nicht auf Intimität, sondern auf Machtasymmetrie.

5. Plattformarchitektur – Algorithmische Kontrolle

Sugar-Dating-Portale strukturieren Interaktionen durch Technik:
Ranking-Systeme, Sichtbarkeits-Boosts und kostenpflichtige Nachrichtenkanäle erzeugen ein ökonomisches Spiel um Aufmerksamkeit.
Diese Mechanismen wirken nicht neutral – sie steuern Verhalten.
Plattformen bestimmen, wer sichtbar bleibt, wer Kontakte verliert, wer ökonomisch profitiert.
Damit üben sie indirekte Kontrolle über Ort, Zeit und Art der Beziehungen aus – Kriterien, die § 181a StGB als Merkmale der dirigistischen Zuhälterei beschreibt.
Wird diese technische Steuerung gezielt zur Förderung oder Ausnutzung sexueller Kontakte genutzt, entsteht ein strafrechtlich relevantes Beteiligungsverhältnis.
Digitale Architektur ersetzt die physische Kontrolle – die Macht liegt im Algorithmus.

6. Strafrechtliche Einordnung – Zwischen Legalität und Zuhälterei

Das Strafrecht differenziert nach dem Grad der Einflussnahme:

  • Keine Strafbarkeit, wenn Plattformen lediglich Kommunikation ermöglichen und keine Bedingungen der Intimität bestimmen.
  • Strafbarkeit nach § 181a StGB, wenn Betreiber planmäßig an den Erlösen sexueller Kontakte mitverdienen oder das Verhalten der Beteiligten steuern.
  • Teilnahme (§ 27 StGB), wenn Plattformen Ausbeutung dulden und durch ihr Geschäftsmodell fördern.

Die Rechtsprechung erkennt zunehmend, dass digitale Vermittlung dieselbe Macht entfalten kann wie physische Kontrolle.
Der Begriff der „dirigistischen Zuhälterei“ umfasst heute auch algorithmische Vorgaben, wenn sie wirtschaftliche oder persönliche Abhängigkeit stabilisieren.

7. Zivilrechtliche Implikationen – Verträge an der Grenze

Neben der strafrechtlichen Bewertung stellt sich die Frage nach der zivilrechtlichen Wirksamkeit solcher Vereinbarungen.
Sugar-Arrangements, die auf sexuellen Leistungen beruhen, sind nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig, sobald sie auf struktureller Ungleichheit beruhen.
Auch Zahlungsvereinbarungen können sittenwidrig sein, wenn sie emotionale oder psychische Schwäche ausnutzen.
In der Folge entfällt ein zivilrechtlicher Anspruch auf Gegenleistung – und gezahlte Beträge können unter Umständen nach Bereicherungsrecht zurückgefordert werden.
Das Privatrecht stützt somit dieselbe Grenze wie das Strafrecht: Abhängigkeit entwertet Freiwilligkeit.

8. Ermittlungs- und Beweisprobleme

Die Aufklärung solcher Fälle ist komplex.
Emotionale Manipulation hinterlässt selten eindeutige Spuren.
Chats, Transaktionsdaten oder Profilverläufe müssen im Kontext interpretiert werden – eine Aufgabe, die psychologische und forensische Expertise erfordert.
Viele Betroffene schämen sich, verlieren Vertrauen oder löschen Beweise.
Plattformbetreiber verweigern Auskunft mit Verweis auf Datenschutz oder Sitz im Ausland.
So entsteht ein faktisches Vollzugsdefizit: Das Strafrecht ist vorhanden, doch ohne digitale Beweisarchitektur bleibt es wirkungslos.

9. Fazit – Autonomie im Schatten der Ökonomie

Sugar-Dating bewegt sich zwischen Selbstbestimmung und Systemabhängigkeit.
Was nach Freiwilligkeit aussieht, kann strukturell erzwungen sein, wenn ökonomische, psychische oder algorithmische Kontrolle den Handlungsspielraum bestimmt.
Das Strafrecht reagiert darauf mit alten Normen in neuem Kontext: § 181a StGB, § 253 StGB, § 263 StGB – sie erfassen auch digitale Formen von Zwang und Ausbeutung.
Zivilrecht und Datenschutzrecht ergänzen diesen Schutz, indem sie Verträge und Datenverarbeitung an die Grenzen der Selbstbestimmung binden.
Die Zukunft liegt in der Anerkennung, dass Manipulation heute nicht mehr körperlich, sondern systemisch geschieht.
Recht bleibt das Korrektiv, das Intimität vor Ökonomisierung schützt – auch, wenn sie in Code geschrieben ist.

Verfasser:
Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann
Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR

🩸 Beiträge im Überblick

1️⃣ Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
Wie Plattformen rechtliche Verantwortlichkeiten verschieben und wann Moderation zur Beihilfe wird.

2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.

3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.

5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.

6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.

7️⃣  Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
§ 181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?

8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.

9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.

🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.

🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution

Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.

💎 Beiträge im Überblick

1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.

2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.

3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.

5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.

6️⃣ Plattformhaftung und Vermittlungsverantwortung – digitale Zuhälterei 2.0
Grenzen der Betreiberhaftung nach § 181a StGB im digitalen Raum.

7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.

8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.

9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.

🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.

⚖️ Empfohlene weiterführende Beiträge

Diese ergänzenden Artikel vertiefen zentrale Themen aus beiden Clustern – von Datenschutz und Steuerrecht bis hin zur Strafverfolgung digitaler Beziehungen.

Krypto Betrug: Finanzaufsicht und Haftung – Warum die BaFin oft zu spät reagiert
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Krypto Betrug: Internationale Geldwäscheketten – Wie Täter Spuren verschleiern
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Krypto Betrug: Rückbuchung nach Krypto-Transfer – Gibt es eine rechtliche Chance?
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Krypto Betrug: Schadensersatzklagen gegen ausländische Plattformen
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Krypto Betrug: Strafanzeige gegen Plattformen (z.B. Crypto.com) – Chancen und Grenzen der Strafverfolgung
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Max Hortmann
Rechtsanwalt
,
Hortmann Law

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