Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten

Verfasst von
Max Hortmann
09 Nov 2025
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Datenschutz in der digitalen Intimitätsökonomie – Kontrolle, Kommerzialisierung und staatliche Blindstellen

Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.

1 Einleitung – Das Versprechen der Kontrolle

Datenschutzrecht will Macht ausgleichen – zwischen jenen, die Daten sammeln, und jenen, die sie preisgeben.
In der Realität digitaler Intimität ist dieser Anspruch längst gebrochen.
Plattformen im Bereich digitaler Sexarbeit, Sugar-Dating oder virtueller Begleitung verarbeiten biometrische, emotionale und sexuelle Daten, deren ökonomischer Wert den klassischen Datenschutz überfordert.

Statt Kontrolle entsteht Kommerzialisierung:
Das „Recht auf Vergessen“ wird zur Ware, die nur erhält, wer sie bezahlen kann.
Die staatliche Aufsicht beschränkt sich auf Papierverfahren, während algorithmische Systeme intime Daten in Verhaltensmodelle übersetzen.

Dieser Beitrag zeigt, warum das Datenschutzrecht in der digitalen Intimitätsökonomie nicht an mangelnden Regeln, sondern an technischer und institutioneller Untauglichkeit scheitert.

2 Datenökonomie im Erotiksektor – Intimität als Produkt

Digitale Sexarbeit ist datenbasiert.
Plattformen speichern:

  • Identitätsdaten (Ausweis, biometrische Selfies),
  • Kommunikationsdaten (Chats, Bilder, Audio),
  • Zahlungs- und Krypto-Daten,
  • psychometrische Interaktionen (Likes, Emotions-Tracking).

Diese Daten sind keine Nebenprodukte – sie sind der Markt selbst.
Algorithmen berechnen Matching-Raten, Popularität und emotionale Reaktionsmuster, um Interaktionen zu verlängern.
Das Datenschutzrecht betrachtet diese Informationen isoliert, während Plattformen sie verknüpfen, aggregieren und monetarisieren.

Die Folge ist ein dreifacher Kontrollverlust:

  1. Nutzer verlieren Kontrolle über Nutzung ihrer Daten,
  2. der Staat verliert Kontrolle über Datenflüsse,
  3. die Aufsicht verliert Kontrolle über den technischen Prozess.

3 Plattformarchitektur und Pseudonymität – Technik als Rechtslücke

Die meisten Plattformen operieren mit Hybrid-Architekturen:
Frontends in der EU, Server in Drittstaaten, Payment-Ketten über Offshore-Dienstleister.
Pseudonyme Konten täuschen Datenschutz durch Anonymität vor, während Metadaten Identifizierbarkeit herstellen.

Beispiel: Ein Nutzer meldet sich mit Alias an, aber seine Krypto-Wallet, IP-Adresse und Zahlungsanbieter liefern eindeutige Zuordnungen.
Diese Struktur erzeugt eine „scheinbare Privatheit“, die rechtlich schwer greifbar ist:

  • keine eindeutige Verantwortlichkeit (Art. 4 Nr. 7 DSGVO),
  • keine transparente Datenflussspur (Art. 13 ff. DSGVO),
  • keine überprüfbare Datenspeicherung (Art. 30 DSGVO).

Die DSGVO greift, aber sie greift ins Leere, weil Verantwortlichkeiten in verteilten Systemen verpuffen.

4 Monetarisierung der Privatsphäre – Der algorithmische Markt

Digitale Intimitätsplattformen handeln nicht mit Inhalten, sondern mit Daten über Verhalten.
Emotionstrigger, Reaktionszeit, Zahlungsbereitschaft, Schreibmuster – sie bilden die ökonomische Basis der Plattformoptimierung.
Je „authentischer“ die Kommunikation, desto präziser die Profilbildung.

Dieser algorithmische Handel unterläuft das Datenschutzkonzept der Zweckbindung:
Was als technische Notwendigkeit (Login, Kommunikation) begann, wird zu Behavioral Advertising und dynamischer Preisgestaltung.
So wird Datenschutz zum Paradox: Je besser er formalisiert wird, desto stärker lässt sich sein Rahmen ökonomisch ausnutzen.

Die Grenze zwischen Selbstverdatung und Fremdauswertung verschwimmt – eine Grauzone, die weder § 26 BDSG (Beschäftigtendaten) noch Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO systematisch erfassen.

5 Behörden und ihre technische Ohnmacht

Landesdatenschutzbehörden sind personell und technisch unterlegen.
Während Plattformen KI-basierte Systeme zur Profilbildung einsetzen, arbeiten Aufsichtsbehörden mit Formularen und Mustern.
Selbst bei klaren Rechtsverstößen – etwa unzulässiger Weitergabe von Gesundheits- oder Standortdaten – fehlt es an digitaler Forensik, um Verstöße nachzuweisen.

Die EDPB-Strukturen sind formal korrekt, faktisch wirkungslos:
grenzüberschreitende Verfahren dauern Jahre,
Bußgelder treffen oft nur Briefkastenfirmen.
Das Ergebnis: formelle Legalität, faktische Rechtlosigkeit.

6 Datenschutz durch Architektur – oder die Illusion technischer Kontrolle

„Privacy by Design“ und „Privacy by Default“ (Art. 25 DSGVO) sollen technische Prävention schaffen.
In der Praxis dienen sie oft der Haftungsverlagerung:
Unternehmen implementieren Checkboxen, Logs und Pseudonymisierung, um Compliance nachzuweisen – nicht, um sie zu leben.

Beispiel: Eine Plattform speichert Inhalte verschlüsselt, nutzt aber denselben Schlüssel für Statistik-Tools.
Formal DSGVO-konform, materiell wirkungslos.
Die Architektur der Systeme wird zur Architektur der Umgehung.

Das Konzept technischer Kontrolle funktioniert nicht in einer Branche, deren Geschäftsmodell auf Datenverwertung beruht.

7 Intersektion mit Steuer- und Strafrecht – die neue Datensouveränität

Datenschutz kollidiert zunehmend mit Steuer- und Strafrecht:

  • DAC8 verpflichtet Plattformen zur Offenlegung steuerlich relevanter Daten,
  • MiCA und das Geldwäschegesetz zwingen zur Identifikation,
  • Strafverfolgung verlangt Zugriff auf Kommunikationsdaten.

Das Ergebnis: Datenschutzrechte werden relativiert, wenn andere Rechtsgüter Vorrang genießen.
In der digitalen Intimitätsökonomie führt das zu einer paradoxen Situation:
Die Daten der Betroffenen sind am besten geschützt, wenn sie nicht arm, sondern steuerrelevant sind.

Datensouveränität wird damit zum Privileg ökonomischer Sichtbarkeit.

8 Notwendige Reformen – Datenschutz als Aufsichtsarchitektur

Ein wirksamer Datenschutz in der digitalen Sexarbeit muss operativ, nicht nur deklarativ sein:

  1. Technische Aufsicht: EU-weite Forensik-Einheit mit Zugriff auf Plattform-Backends.
  2. Lizenzierungspflicht für Anbieter sensibler Plattformen (analog zu Zahlungsdiensten).
  3. Rechtsverbindliche Audit-Standards für KI-Systeme, die emotionale Daten verarbeiten.
  4. Verzahnung mit DAC8/MiCA zur automatisierten, aber zweckgebundenen Datenweitergabe.
  5. Opferrechte: Sofortige Löschung, Sperrung und Nachverfolgung personenbezogener Daten bei Missbrauchsfällen.

Nur so kann Datenschutz wieder das werden, was er verspricht: ein Machtinstrument der Schwachen gegen die Strukturen der Starken.

9 Fazit – Vom Schutzrecht zum Strukturrecht

Datenschutzrecht schützt nicht mehr Daten, sondern Geschäftsmodelle.
Die digitale Sexarbeit offenbart das Dilemma:
Das System, das Intimität monetarisiert, kann nicht durch dieselben Regeln gebändigt werden, die es selbst mitformuliert hat.

Die Zukunft liegt nicht im Rückzug ins Papierrecht, sondern in der Integration von Technikaufsicht, Steuertransparenz und algorithmischer Verantwortung.
Datenschutz muss zum Strukturrecht werden –
nicht zur moralischen Kulisse einer Industrie, die längst gelernt hat, aus Kontrolle Kapital zu schlagen.

Recht ist nicht die Bremse der Digitalisierung, sondern ihre ethische Architektur.

🩸 Beiträge im Überblick

1️⃣ Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
Wie Plattformen rechtliche Verantwortlichkeiten verschieben und wann Moderation zur Beihilfe wird.

2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.

3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.

5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.

6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.

7️⃣ Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
§ 181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?

8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.

9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.

🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.

🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution

Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.

💎 Beiträge im Überblick

1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.

2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.

3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.

5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.

6️⃣ Plattformhaftung und Vermittlungsverantwortung – digitale Zuhälterei 2.0
Grenzen der Betreiberhaftung nach § 181a StGB im digitalen Raum.

7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.

8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.

9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.

🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.

⚖️ Empfohlene weiterführende Beiträge

Diese ergänzenden Artikel vertiefen zentrale Themen aus beiden Clustern – von Datenschutz und Steuerrecht bis hin zur Strafverfolgung digitaler Beziehungen.

Compliance-Verstöße dokumentieren – Haftung des Datenschutzbeauftragten
https://www.hortmannlaw.com/articles/compliance-verstosse-dokumentieren---haftung-des-datenschutzbeauftragten        

Datenschutz und KI: Anforderungen der DSGVO für Start-ups
https://www.hortmannlaw.com/articles/datenschutz-und-ki-anforderungen-der-dsgvo-fur-start-ups      

Datentraining mit Kundendaten – Wann droht ein DSGVO-Schaden?
https://www.hortmannlaw.com/articles/datentraining-mit-kundendaten---wann-droht-ein-dsgvo-schaden        

Digitalisierung & Datenschutz in der WEG – Pflichten, Risiken, Chancen
https://www.hortmannlaw.com/articles/weg-digitalisierung-datenschutz      

DSGVO - Auskunftsrecht, Löschpflicht und Haftungsrisiken für Unternehmen
https://www.hortmannlaw.com/articles/dsgvo-auskunftsrecht-loschpflicht-und-haftungsrisiken-fur-unternehmen      

DSGVO Anfrage Risiko
https://www.hortmannlaw.com/articles/dsgvo-anfrage-risiko  

DSGVO und Crypto.com – Pflichten bei Krypto-Betrug und Datenzugriff
https://www.hortmannlaw.com/articles/dsgvo-crypto-com-pflichten-krypto-betrug              

Industriespionage und Datenschutz
https://www.hortmannlaw.com/articles/industriespionage-und-datenschutz              

KI-Haftung, Datenschutz und Strafrecht: Die neue Verantwortungsmatrix
https://www.hortmannlaw.com/articles/ki-haftung-datenschutz-und-strafrecht-die-neue-verantwortungsmatrix            

Max Hortmann
Rechtsanwalt
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