Regulierung digitaler Intimität
Wie EU, USA und Deutschland auf Sugar-Dating-Plattformen reagieren
Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR
1. Einleitung – Globaler Markt, nationale Moral
Digitale Sugar-Dating-Plattformen bewegen Milliardenbeträge und überschreiten täglich kulturelle, steuerliche und rechtliche Grenzen.
Während die USA die Ökonomisierung von Intimität als Ausdruck persönlicher Autonomie verstehen, betrachtet die Europäische Union sie zunehmend als Regulierungsproblem zwischen Datenschutz, Plattformaufsicht und Arbeitsrecht.
Deutschland steht dazwischen – mit einem Strafrecht aus der analogen Zeit und einer Aufsicht, die digitale Geschäftsmodelle bislang nur punktuell erfasst.
Dieser Beitrag zeigt, wie unterschiedlich die Rechtsordnungen auf dieselbe Realität reagieren: die algorithmisch vermittelte Nähe gegen Entgelt.
2. USA – Marktfreiheit und Selbstverantwortung
In den Vereinigten Staaten gilt Sugar-Dating überwiegend als privater Austauschvertrag.
Solange keine Zwangselemente oder Minderjährigenbeteiligung vorliegt, greifen weder Straf- noch Arbeitsrecht ein.
Plattformen berufen sich auf den First Amendment (Freedom of Speech & Association) und grenzen sich von „escort services“ ab.
Eingriffe erfolgen primär über consumer protection law – etwa bei Betrug oder Datenmissbrauch –, nicht über Moralnormen.
Damit bleibt die Regulierung wirtschaftsliberal: Der Markt entscheidet, was Intimität wert ist.
Kritiker sprechen von einer „Privatisierung der Fürsorge“, da Schutz nur dort entsteht, wo Zivilklagen wirtschaftlich lohnen (1).
3. Europäische Union – Vom Datenschutz zur Plattformaufsicht
Die EU verfolgt einen grundlegend anderen Ansatz.
Mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) werden Plattformen erstmals inhaltlich verantwortlich.
Sugar-Dating-Portale fallen als very large online platforms in deren Anwendungsbereich, sobald sie Matching-Algorithmen, Zahlungsdienste oder Ranking-Systeme einsetzen.
Die Kommission sieht darin nicht nur Datenschutz-, sondern grundrechtliche Risiken: Eingriffe in Selbstbestimmung, Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit.
Nach Art. 9 DSGVO gelten emotionale und sexuelle Präferenzen als besondere Kategorien personenbezogener Daten.
Damit wird Intimität zur Compliance-Pflicht: Betreiber müssen technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz dieser Daten nachweisen – eine Anforderung, die US-Anbieter bislang kaum erfüllen (2)(3)(4).
4. Deutschland – Zwischen Strafrecht und Verwaltungsstillstand
Deutschland reagiert zurückhaltend.
Das Strafrecht kennt mit § 181a StGB und dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) zwar Normen zur Ausbeutung und Organisation sexueller Dienstleistungen,
doch digitale Sugar-Plattformen fallen regelmäßig durch das Raster: Sie verstehen sich weder als Bordelle noch als Arbeitgeber.
Datenschutzaufsichtsbehörden prüfen vereinzelt, Arbeitsgerichte kennen keine Verfahren,
und Strafverfolgung scheitert häufig an Zuständigkeits- und Beweisproblemen.
Die Folge ist Regelungserosion – ein Geschäftsmodell ohne klaren Rechtsadressaten.
Zwar erkennen Bundesländer wie Berlin oder Hamburg inzwischen einen Prüfbedarf,
eine bundesweite Regulierung fehlt jedoch.
Andere Staaten – etwa Frankreich oder die Niederlande – sind weiter: Dort ist Online-Sexarbeit registrierungspflichtig (4)(5).
5. Fazit – Recht zwischen Freiheit und Kontrolle
Die Regulierung digitaler Intimität verläuft entlang kultureller Bruchlinien.
Die USA privilegieren Marktlogik und Selbstverantwortung,
die EU setzt auf Grundrechtsschutz und Transparenzpflichten,
Deutschland bleibt zwischen Strafrecht, Föderalismus und Verwaltungsstillstand.
Das Ergebnis ist ein asymmetrisches Schutzregime:
Je stärker Intimität ökonomisch vermittelt wird, desto schwächer ist der individuelle Schutz.
Ein modernes Regulierungsmodell müsste Datenschutz, Arbeitsrecht und Plattformaufsicht verzahnen – nicht, um Moral zu kodifizieren,
sondern um Selbstbestimmung in digitalen Intimitätsmärkten rechtlich abzusichern.
Fundstellen:
(1) Clemens Kochinke, „Länderreport USA“, K&R 2018, 385–387
(2) Torsten Kraul / Jens Peter Schmidt, „Plattformregulierung 2.0 – Digital Services Act und Digital Markets Act als Herausforderung für die Compliance-Organisation“, CCZ 2023, 177–190
(3) Wiedemann, Kap. 1.3 „Online-Plattformen“, in: jurisPK-Internetrecht, 8. Aufl. 2024
(4) Hanna Ruschemeier, „Die aktuelle Digitalgesetzgebung der Europäischen Union – eine kritische Analyse“, ZG 2023, 337–366
(5) Schwartmann, „Regulierung digitaler Diensteanbieter“, in: Steuerberater-Rechtshandbuch, 194. Ergänzungslieferung, Sept 2025
Verfasser:
Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann
Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR
🩸 Beiträge im Überblick
1️⃣ Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
Wie Plattformen rechtliche Verantwortlichkeiten verschieben und wann Moderation zur Beihilfe wird.
2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.
3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.
4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.
5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.
6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.
7️⃣ Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
§ 181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?
8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.
9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.
🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.
🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution
Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.
💎 Beiträge im Überblick
1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.
2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.
3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.
4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.
5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.
6️⃣ Plattformhaftung und Vermittlungsverantwortung – digitale Zuhälterei 2.0
Grenzen der Betreiberhaftung nach § 181a StGB im digitalen Raum.
7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.
8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.
9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.
🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.
⚖️ Empfohlene weiterführende Beiträge
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