Grundschuld und Sicherungsabrede – Haftungsrisiken bei Mehrfachverwertung

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Grundschuld und Sicherungsabrede – Haftungsrisiken bei Mehrfachverwertung
Einleitung
Die Grundschuld zählt zu den wichtigsten Kreditsicherheiten im deutschen Immobilienrecht. Ihre Flexibilität beruht darauf, dass sie nicht an eine konkrete Forderung gebunden ist, sondern als abstraktes Pfandrecht besteht. Gerade diese Abstraktion führt in der Praxis jedoch zu erheblichen Haftungsrisiken – insbesondere dann, wenn die zugrunde liegende Sicherungsabrede fehlerhaft formuliert oder mehrfach verwendet wird.
Im Kern geht es um die Frage, wie weit die Bindung zwischen Grundschuld und gesicherter Forderung reicht, wann Rückgewähransprüche entstehen und in welchen Fällen Banken oder Erwerber für fehlerhafte Verwertungen haften. Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) – zuletzt das Urteil vom 14. Januar 2022 (V ZR 255/20) – verdeutlicht, dass die Grenzen der Vertragsfreiheit im Sicherungsrecht enger gezogen werden, als viele Marktteilnehmer annehmen.
Dieser Beitrag untersucht die zentralen Problemfelder: die rechtliche Ausgestaltung der Sicherungsabrede, den Rückgewähranspruch, die Risiken der Mehrfachverwertung und die haftungsrechtlichen Folgen für Banken, Sicherungsgeber und Erwerber.
Rechtlicher Rahmen: Grundschuld und Sicherungsabrede
Die Grundschuld (§§ 1191 ff. BGB) ist ein dingliches Recht, das unabhängig von einer bestimmten Forderung besteht. Ihre wirtschaftliche Funktion erhält sie erst durch die sogenannte Sicherungsabrede – eine schuldrechtliche Vereinbarung, die den abstrakten Grundschuldzweck mit einer konkreten Forderung verknüpft.
Nach ständiger Rechtsprechung kann diese Abrede formlos und auch konkludent zustande kommen (BGH v. 28. 10. 2003 – XI ZR 263/02). Sie umfasst regelmäßig nicht nur Erfüllungsansprüche, sondern auch Neben- und Folgeansprüche, etwa wenn der Hauptvertrag unwirksam wird. Entscheidend ist, dass der Sicherungszweck hinreichend bestimmt ist und für alle Beteiligten erkennbar bleibt.
Fehlt eine solche Sicherungsabrede oder ist sie unklar, drohen gravierende Rechtsunsicherheiten. Ohne eindeutige Zweckbestimmung kann eine Grundschuld frei verwertet oder mehrfach abgetreten werden – mit der Folge konkurrierender Ansprüche und potenzieller Schadensersatzpflichten.
Rückgewähransprüche als zentrales Konfliktfeld
Sobald der Sicherungszweck entfällt – etwa durch Tilgung oder Erlöschen der gesicherten Forderung – entsteht der Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld. Dieser Rückgewähranspruch ist pfändbar, abtretbar und verpfändbar (Freckmann 2012; Goldbach 2019). Er stellt somit selbst einen wirtschaftlich relevanten Vermögenswert dar.
In der Bankpraxis führt genau diese Abtretbarkeit jedoch zu Unsicherheiten: Häufig werden Rückgewähransprüche mehrfach abgetreten, verpfändet oder ohne ausdrückliche Zustimmung des Kreditinstituts übertragen. Die §§ 407 f. BGB bieten hier keinen lückenlosen Schutz, da sie nur greifen, wenn der Schuldner die Abtretung nicht kennt.
Banken nutzen daher Zustimmungsvorbehalte, um die Abtretung solcher Ansprüche zu kontrollieren. Das BGH-Urteil vom 14. 01. 2022 (V ZR 255/20) bestätigte, dass formularmäßige Zustimmungsvorbehalte zulässig sind, selbst wenn der Sicherungsgeber zugleich Eigentümer ist. Diese Regelung benachteiligt den Sicherungsgeber nicht unangemessen (§ 307 Abs. 1 BGB), weil sein Interesse an Transparenz durch das Gebot von Treu und Glauben gewahrt bleibt (Kessen 2022).

Mehrfachverwertung von Sicherheiten
Ein wesentliches Risiko besteht in der sogenannten Mehrfachverwertung: Der Kreditnehmer räumt mehreren Gläubigern dieselbe Sicherheit ein, oder die Bank verwertet eine Sicherheit mehrfach für verschiedene Forderungen.
Solche Konstellationen entstehen insbesondere bei nachträglichen Darlehensaufstockungen oder bei internen Übertragungen innerhalb eines Bankkonzerns. Wird die Sicherungsabrede dabei nicht klar angepasst, droht eine unzulässige Übersicherung. Das kann zu Rückgewähransprüchen oder Schadensersatzforderungen führen – vor allem dann, wenn der Sicherungsgeber nicht über die Zweitverwendung informiert wurde.
Die Rechtsprechung verlangt deshalb eine enge inhaltliche Koppelung zwischen Sicherungszweck und Grundschuld, um Manipulationen und Missverständnisse zu vermeiden. Wird die Grundschuld mehrfach genutzt, ohne dass der Sicherungsgeber ausdrücklich zugestimmt hat, kann die Bank schadensersatzpflichtig werden (Neuhof 1995).
Fehlerhafte oder fehlende Sicherungsabreden
Das Fehlen einer Sicherungsabrede – etwa bei älteren Grundschuldbestellungen – kann erhebliche Folgen haben. Nach dem Urteil des OLG Stuttgart v. 09. 04. 2003 (9 U 204/02) bleibt in solchen Fällen unklar, ob und wie Rückgewähransprüche entstehen. Ohne schuldrechtliche Grundlage kann der Sicherungsgeber zwar eine Löschung verlangen, riskiert aber, dass die Bank über den nominalen Betrag hinaus verwertet.
Fehlerhafte Sicherungsabreden entstehen häufig durch unpräzise Formulierungen oder widersprüchliche Regelungen in Formularverträgen. Typisch sind Klauseln, die auf Forderungen „aus der gesamten Geschäftsverbindung“ verweisen, ohne diese hinreichend zu bestimmen. Solche Klauseln können nach § 307 BGB unwirksam sein, weil sie den Sicherungsgeber unangemessen benachteiligen.
Eine unklare Abrede kann auch dazu führen, dass der Eigentümer den Verwertungszeitpunkt oder den Umfang der Grundschuld nicht mehr kontrollieren kann – ein klarer Verstoß gegen das Transparenzgebot.
Haftungsrisiken für Banken und Erwerber
Banken tragen eine besondere Verantwortung für die rechtssichere Verwaltung von Sicherheiten. Wird eine Grundschuld auf Grundlage einer unwirksamen Sicherungsabrede verwertet, kann dies zu Schadensersatzpflichten führen (Neuhof 1995). Gleiches gilt, wenn Rückgewähransprüche trotz erloschener Forderung nicht freigegeben werden.
Erwerber eines Grundstücks treten häufig in bestehende Sicherungsbeziehungen ein. Sie müssen daher prüfen, ob die eingetragene Grundschuld tatsächlich noch valutiert. Erfolgt der Erwerb ohne Kenntnis einer nicht mehr bestehenden Forderung, kann der Käufer nach § 1192 Abs. 1a BGB gegen den bisherigen Gläubiger vorgehen, sofern dieser den Rückgewähranspruch schuldhaft nicht offengelegt hat.
Für Banken gilt: Eine fehlende oder widersprüchliche Dokumentation des Sicherungszwecks kann zur Haftung aus culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB) führen. Insbesondere bei Nachbeleihungen oder konzerninternen Abtretungen sollte jede Sicherungsabrede individuell angepasst und dokumentiert werden.
Gestaltungs- und Compliance-Empfehlungen
Zur Minimierung von Haftungsrisiken sollten Kreditinstitute und Sicherungsgeber folgende Grundsätze beachten:
- Klare Sicherungsabrede:
Jede Grundschuld muss eine eindeutige schuldrechtliche Verknüpfung mit der gesicherten Forderung enthalten. Allgemeine Bezugnahmen auf „alle bestehenden und künftigen Ansprüche“ sind zu vermeiden. - Zustimmungsvorbehalt und Dokumentation:
Abtretungen und Rückgewähransprüche sollten nur mit Zustimmung der Bank erfolgen. Jede Änderung des Sicherungszwecks ist schriftlich festzuhalten und mit Datum zu versehen. - Transparenz gegenüber Dritten:
Beim Verkauf des Grundstücks oder der Forderung sollte die Bank den Stand der Valutierung offenlegen. Das stärkt das Vertrauen der Erwerber und reduziert Streitpotenzial. - Compliance-Überwachung:
Institute sollten interne Prüfroutinen etablieren, um Mehrfachverwertungen und Übersicherungen frühzeitig zu erkennen. Moderne Grundbuch- und Dokumentenmanagementsysteme können hier wertvolle Unterstützung leisten. - Beratungspflicht des Notars:
Notarinnen und Notare sind gehalten, bei der Beurkundung von Sicherungsgrundschulden auf den Sicherungszweck hinzuweisen und unklare Formulierungen zu vermeiden. Dies kann spätere Anfechtungen und Haftungsstreitigkeiten verhindern.

Fazit
Die Verbindung von Grundschuld und Sicherungsabrede bildet das Fundament des modernen Kreditsicherungsrechts. Doch gerade in dieser Schnittstelle entstehen die größten Haftungsrisiken.
Die Praxis zeigt: Fehlende oder unklare Sicherungsabreden, unkontrollierte Abtretungen und Mehrfachverwertungen sind die häufigsten Fehlerquellen. Kreditinstitute sollten ihre Vertragsmuster regelmäßig überprüfen und jede Änderung des Sicherungszwecks dokumentieren.
Klare Zustimmungsvorbehalte, saubere Rückgewährabwicklungen und transparente Kommunikation zwischen Bank, Eigentümer und Erwerber sichern nicht nur rechtliche Stabilität – sie sind zugleich Ausdruck moderner, verantwortungsbewusster Immobilienfinanzierung.
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