Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei

Verfasst von
Max Hortmann
09 Nov 2025
Lesezeit:
Diesen Beitrag teilen

⚖️ Plattformbeteiligung und Beihilfe – § 181a StGB und EMRK

Verfasst von Rechtsanwalt Max Nikolas Mischa Hortmann, Vertragsautor bei jurisAZO-ITR und jurisPR-ITR.

1 Einleitung – Zwischen Plattformneutralität und strafrechtlicher Verantwortung

Digitale Plattformen sind längst zum zentralen Vermittlungsraum der Sexarbeit geworden. Sie hosten Profile, regeln Bezahlprozesse, vermitteln Kundschaft und kontrollieren Inhalte. Dieses Geschäftsmodell wirft die Grundfrage auf, wann ökonomische Beteiligung in strafbare Förderung oder Beihilfe zur Prostitution umschlägt.

Die zentrale Vorschrift ist § 181a StGB: Wer eine Person, die der Prostitution nachgeht, ausbeutet oder deren Tätigkeit überwacht, um daraus Vermögensvorteile zu ziehen, wird bestraft. Gleichzeitig schützt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sowohl die persönliche Autonomie der Betroffenen (Art. 8) als auch die unternehmerische Freiheit der Plattformen (Art. 10). Zwischen diesen Polen entscheidet sich, ob digitale Infrastruktur rechtlich neutral bleibt – oder zum strafrechtlichen Akteur wird.

2 Zuhälterei und Förderung – § 181a StGB als Ausgangspunkt

2.1 Tatbestandliche Reichweite

§ 181a StGB umfasst zwei Fallgruppen:

  1. Ausbeutung der Prostitution – wenn jemand planmäßig von den Einkünften anderer lebt oder diese wirtschaftlich kontrolliert;
  2. Förderung der Prostitution – wenn jemand den Beruf durch Vermittlung, Werbung oder organisatorische Beteiligung begünstigt und dadurch die Unabhängigkeit der Person einschränkt.

Die Vorschrift ist bewusst weit gefasst, um indirekte Abhängigkeiten zu erfassen – auch wirtschaftliche. Der Plattformbetreiber, der Provisionen aus Transaktionen zieht, erfüllt den wirtschaftlichen Vorteil; ob er zugleich die Unabhängigkeit beeinträchtigt, entscheidet sich nach Kontrolle und Eingriffstiefe (Heckmann, jurisPK-Internetrecht 2024, Kap. 8).

2.2 Ausbeutung durch technische Kontrolle

Wenn Plattformen Uploads filtern, Ranking-Systeme steuern oder Profile sperren, üben sie funktionale Kontrolle aus. Algorithmische Sichtbarkeit ersetzt physische Aufsicht. Wer durch diese Kontrolle Preise, Erreichbarkeit oder Auswahl beeinflusst, greift in die Entscheidungsfreiheit ein – ein zentrales Merkmal der Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

3 Beihilfe und Mitverantwortung – § 27 StGB im Plattformkontext

3.1 Neutralität und Kenntnis

Nach allgemeinem Strafrecht macht sich wegen Beihilfe strafbar, wer die vorsätzliche Haupttat eines anderen bewusst fördert (§ 27 StGB).
Die bloße Bereitstellung technischer Infrastruktur genügt nicht; erforderlich ist Kenntnis der Umstände und ein billigendes Inkaufnehmen (LG Karlsruhe 19.12.2018 – 4 KLs 608 Js 19580/17).

Der Unterschied zwischen neutraler Vermittlung und strafbarer Beihilfe liegt daher im Wissens- und Willenselement:

  • Kennt der Betreiber die Nutzung seiner Plattform für verbotene Ausbeutung,
  • und unternimmt er nichts, obwohl ihm eine Einflussnahme möglich wäre,
    so liegt Beihilfe nahe.

3.2 Beihilfevorsatz und wirtschaftliche Beteiligung

Ein Beihilfevorsatz besteht bereits, wenn der Plattformbetreiber die wesentlichen Umstände der Haupttat kennt – Details muss er nicht wissen.
Ökonomische Beteiligung allein begründet keinen Vorsatz, sie kann ihn aber unterstützen: Wer systematisch am Erlösmodell partizipiert, zeigt objektiv ein Förderungsinteresse.
Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 2.2.2009 – I-9 U 163/08) betont, dass wirtschaftliche Kooperationsstrukturen Gesamtschuldner-ähnliche Verantwortung erzeugen können, wenn sie die Tat ermöglichen oder stabilisieren.

3.3 Haftungsgrenzen

Plattformbetreiber haften nicht automatisch für alle Nutzerhandlungen. Entscheidend ist der Grad der aktiven Beteiligung.
Reine Host- oder Payment-Provider bleiben privilegiert, solange sie keine eigene Steuerung oder Werbung betreiben.
Sobald jedoch Content-Kuratoren, Empfehlungslogiken oder Marketingkampagnen gezielt auf sexuelle Dienstleistungen ausgerichtet sind, tritt Tatherrschaft durch Organisation hinzu – und damit Beihilferelevanz.

4 Bezug zur EMRK

4.1 Art. 8 EMRK – Schutz des Privatlebens

Art. 8 EMRK verpflichtet Staaten, Menschen vor Eingriffen in ihr Privatleben zu schützen – auch vor digitaler Ausbeutung durch Dritte.
Plattformen, die systematisch Abhängigkeit und Kontrollmechanismen etablieren, können diesen Schutz unterlaufen.
Staaten verletzen Art. 8 EMRK, wenn sie trotz Kenntnis struktureller Ausbeutung keine wirksamen Regulierungen schaffen oder durchsetzen (OLG Karlsruhe 1 AK 34/16).

4.2 Art. 10 EMRK – Meinungs- und Unternehmensfreiheit

Plattformen berufen sich häufig auf Art. 10 EMRK: ihre Tätigkeit diene Kommunikation, Information oder Kunst.
Der EGMR (Windhager/Gahleitner, MR-Int 2013, 94) stellt klar: Meinungsfreiheit endet dort, wo wirtschaftlich motivierte Förderung rechtswidriger Handlungen beginnt.
Die Abwägung ist fallbezogen:

  • Neutrale Bereitstellung von Foren bleibt geschützt.
  • Monetarisierte, steuernde Vermittlung sexueller Dienste verliert diesen Schutz.

5 Digitale Infrastruktur als Kontrollinstrument

Technische Systeme können dieselben Effekte wie klassische Zuhälterei entfalten:

  • Algorithmische Steuerung bestimmt Sichtbarkeit und Preise.
  • Datenanalyse liefert Markt- und Nachfrageinformationen, mit denen Plattformen gezielt Angebote formen.
  • Sanktionsmechanismen (Sperren, Delisting) dienen der Disziplinierung.

Damit entsteht digitale Beihilfe durch Systemarchitektur: Der Code ersetzt den Zuhälter.
Das Strafrecht reagiert hier verzögert, weil es noch auf physische Kontrolle ausgerichtet ist. Doch § 181a StGB ist technologieneutral – er erfasst jede Form von Überwachung oder wirtschaftlicher Ausbeutung.

6 Abgrenzung: Förderung vs. Selbstbestimmung

Nicht jede Vermittlung ist strafbar. Plattformen können legale, selbstbestimmte Sexarbeit ermöglichen, solange

  • die Anbieterinnen über Preis, Kunden und Umfang frei entscheiden,
  • Auszahlungen transparent und kontrollierbar sind,
  • keine algorithmische oder vertragliche Abhängigkeit besteht.

Sobald jedoch der ökonomische Anreiz darin besteht, Abhängigkeit zu verstetigen – etwa durch Provisionen auf Interaktionen oder Rankings, die mehr Umsatz durch längere Bindung generieren –, kippt das Modell in strafrechtliche Förderung der Prostitution (§ 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB).

7 Plattformhaftung zwischen Straf- und Zivilrecht

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wirkt in andere Bereiche:

  • Zivilrecht: § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 181a StGB → deliktische Haftung auf Schadensersatz.
  • DSA/DSGVO: Pflichten zur Risikobewertung, Transparenz und Daten-Compliance.
  • Steuerrecht (Projekt 370): Gewinne aus strafbarer Förderung sind nicht abzugsfähig; Verdachtsmeldungen an die FIU möglich.

So entsteht eine Mehr-Ebenen-Haftung, in der Plattformen sich nicht mehr hinter technischer Neutralität verstecken können.

8 Rechtspolitische Dimension

Der Staat muss einen Ausgleich zwischen EMRK-Rechten und digitaler Ökonomie schaffen:

  • Strafrechtliche Klarstellung, dass algorithmische Kontrolle und Provisionsmodelle tatbestandsfähig sind.
  • Verpflichtende Audits nach DSA zur Vermeidung von Ausbeutungs-Risiken.
  • Opferschutz-Mechanismen, die Betroffenen Auskunfts-, Lösch- und Schadensersatzrechte sichern.
  • Internationale Kooperation, da Plattformen häufig im Ausland sitzen – Harmonisierung von Ermittlungs- und Vollstreckungsinstrumenten.

9 Fazit

Plattformen profitieren wirtschaftlich von Sexarbeit – und überschreiten dort die Grenze zur Strafbarkeit, wo sie Kontrolle ausüben oder Abhängigkeit systematisch verstärken.
§ 181a StGB erfasst diese digitalen Formen der Förderung, auch ohne physischen Zwang.
Die EMRK verlangt vom Staat, wirksame Schutzmechanismen gegen solche digitalen Ausbeutungsstrukturen zu etablieren, ohne zugleich legitime Selbstbestimmung und Kommunikation zu unterdrücken.

Die Zukunft des Strafrechts liegt in der Erfassung digitaler Beteiligungsformen: nicht mehr nur Hände, sondern Algorithmen können fördern, überwachen, ausbeuten.

Recht ist nicht die Bremse der Digitalisierung, sondern ihre ethische Architektur.

Fundstellen

  1. § 181a StGB, BGBl. I 2015.
  2. LG Karlsruhe 19. 12. 2018 – 4 KLs 608 Js 19580/17.
  3. Heckmann, jurisPK-Internetrecht, 8. Aufl. 2024, Kap. 8.
  4. OLG Düsseldorf Urt. v. 2. 2. 2009 – I-9 U 163/08.
  5. OLG Karlsruhe Beschl. v. 7. 9. 2016 – 1 AK 34/16.
  6. Windhager/Gahleitner, MR-Int 2013, 94.

Industriespionage im internationalen Handel
https://www.hortmannlaw.com/articles/industriespionage-im-internationalen-handel        

Industriespionage und Datenschutz
https://www.hortmannlaw.com/articles/industriespionage-und-datenschutz              

Klage gegen Crypto.com & Co: Wie Opfer von Krypto-Betrug, Bitcoin- und Love-Scam-Fällen vor Gericht Erfolg haben
https://www.hortmannlaw.com/articles/klage-gegen-crypto-com-plattform-betrug                

Kreditbetrug durch fingierte Anträge – Haftungs- und Strafrisiken
https://www.hortmannlaw.com/articles/kreditbetrug-scheinantrag    

Kreditkartenbetrug – Haftung der Bank bei missbräuchlicher Nutzung
https://www.hortmannlaw.com/articles/kreditkartenbetrug-bankhaftung      

Online-Betrug & Adhäsionsverfahren – Schadensersatz mit Anwalt durchsetzen
https://www.hortmannlaw.com/articles/adhasionsverfahren-online-betrug-anwalt                

Phishing Betrug – Anwalt bei Fake-Support und Online-Täuschung
https://www.hortmannlaw.com/articles/phishing-fake-support-anwalt            

Prävention von Industriespionage: technische Schutzmaßnahmen
https://www.hortmannlaw.com/articles/pravention-industriespionage-technische-schutzmasnahmen

Recovery Scams nach Krypto-Betrug – Die zweite Täuschungswelle
https://www.hortmannlaw.com/articles/recovery-scam-krypto-betrug              

Scamming: PayPal-Betrug und Dating-Scams
https://www.hortmannlaw.com/articles/paypal-betrug-und-dating-scams    

Starting a GmbH in Germany
https://www.hortmannlaw.com/articles/starting-a-gmbh            

Strafanzeige Krypto Betrug
https://www.hortmannlaw.com/articles/strafanzeige-krypto-betrug  

Was sind Crypto Plattformen und wann haften sie?
https://www.hortmannlaw.com/articles/was-sind-krypto-plattformen-und-wann-haften-sie            

Wenn Unternehmen selbst zur Zielscheibe werden – Umgang mit Diffamierung, Leaks und Social-Media-Krisen

https://www.hortmannlaw.com/articles/unternehmen-diffamierung-leaks-shitstorms

🩸 Beiträge im Überblick

1️⃣ Digitale Prostitution und Plattformhaftung – rechtliche Grauzonen im Netz
Wie Plattformen rechtliche Verantwortlichkeiten verschieben und wann Moderation zur Beihilfe wird.

2️⃣ AI-Avatare und virtuelle Sexarbeit – zwischen Kunstfreiheit und Pornografiegesetz
Künstliche Identitäten, Deepfakes und die Frage, ob virtuelle Erotik Kunst oder Sexarbeit ist.

3️⃣ OnlyFans, FanCentro & Co. – steuerliche Behandlung digitaler Sexarbeit
Wie Einnahmen aus digitaler Intimität steuerlich einzuordnen sind – von Einkommensteuer bis Umsatzsteuer.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO als Schutzschild oder Feigenblatt?
Wenn intime Daten zum Geschäftsmodell werden – Grenzen des Datenschutzes in der Sexarbeit.

5️⃣ Digitale Prostitution vs. Love Scamming – Täuschung, Einwilligung und Ausnutzung
Wie emotionale Manipulation ökonomische Abhängigkeit schafft – und wann Strafbarkeit beginnt.

6️⃣ Plattformökonomie und Arbeitsrecht – Scheinselbstständigkeit im Erotiksektor
Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung? Arbeitsrechtliche Grenzen digitaler Sexarbeit.

7️⃣ Strafrechtliche Verantwortung – von der Förderung zur digitalen Zuhälterei
§ 181a StGB im Zeitalter der Plattformökonomie: Wer trägt strafrechtliche Verantwortung?

8️⃣ Digitale Prostitution im internationalen Kontext – Regulierung in EU, USA, Asien
Rechtsvergleich zwischen Liberalisierung, Plattformverbot und digitaler Überwachung.

9️⃣ Digitale Sexarbeit und Steuerfahndung – Geldwäsche und Krypto-Zahlungen
Wie Finanzbehörden digitale Einnahmen nachvollziehen – und wann der Verdacht auf Geldwäsche entsteht.

🔟 Digitale Prostitution als Schattenmarkt – Kontrollverlust des Staates
Warum bestehende Gesetze an der digitalen Realität scheitern – und welche Reformen nötig sind.

🔹 Cluster II – Sugar-Dating & Sugar-Babe-Prostitution

Juristische Analysen zur rechtlichen Einordnung von Sugar-Arrangements, Datenschutz, Steuerrecht und Strafbarkeit.
Diese Serie untersucht die Grauzone zwischen Beziehung und entgeltlicher Leistung – von emotionaler Abhängigkeit bis Plattformhaftung.

💎 Beiträge im Überblick

1️⃣ Sugar-Daddy-Plattformen und rechtliche Bewertung – Zwischen Beziehung und Bezahlung
Wie digitale Plattformen Beziehungen monetarisieren – und wo das Zivilrecht Grenzen zieht.

2️⃣ Vertrag oder Täuschung? – Zivilrechtliche Einordnung von Sugar-Arrangements
Zwischen Einvernehmen und Irreführung – wann eine Beziehung zur vertraglichen Leistung wird.

3️⃣ Steuerrechtliche Bewertung – Liebesbeziehung oder gewerbliche Tätigkeit?
Wie Finanzämter Sugar-Arrangements einordnen – und welche steuerstrafrechtlichen Risiken bestehen.

4️⃣ Datenschutz und Intimsphäre – Art. 9 DSGVO bei Sugar-Daddy-Daten
Intime Informationen als Risikofaktor – Datenschutzrechtliche Grenzen der Vermittlungsportale.

5️⃣ Täuschung, Abhängigkeit und Nötigung – Strafbarkeit digitaler Sugar-Beziehungen
Wann emotionale und ökonomische Abhängigkeit zur Strafbarkeit führt.

6️⃣ Plattformhaftung und Vermittlungsverantwortung – digitale Zuhälterei 2.0
Grenzen der Betreiberhaftung nach § 181a StGB im digitalen Raum.

7️⃣ Finanzielle Abhängigkeit und emotionale Erpressung – Sugar-Babe als Opferstruktur
Wie Abhängigkeit systematisch entsteht – und welche Rechtsfolgen sie auslöst.

8️⃣ Arbeitsrechtliche Einordnung – Beschäftigung, Selbstständigkeit oder Schutzlücke?
Wann Sugar-Beziehungen arbeitsrechtlich relevant werden – eine Analyse nach § 611a BGB.

9️⃣ Internationale Dimension – Regulierung digitaler Sugar-Dating-Portale
Wie EU und USA unterschiedlich reagieren – und wo Deutschland steht.

🔟 Gesellschaftliche und rechtspolitische Bewertung – Sugar-Dating als Normalisierung digitaler Abhängigkeit
Warum Sugar-Dating mehr ist als ein Beziehungsphänomen – und was es über digitale Machtverhältnisse verrät.

Max Hortmann
Rechtsanwalt
,
Hortmann Law

Suchen Sie dringend diskrete, juristische Unterstüzung?

Wir helfen Ihnen gerne persönlich weiter – schildern Sie uns Ihr Anliegen und wir finden gemeinsam eine Lösung.

Verwandte Artikel

Das könnte Sie auch interessieren

Entdecken Sie weitere Beiträge zu aktuellen Themen rund um Digitalrecht, Cybercrime, Datenschutz, KI und Steuerrecht. Unsere verwandten Artikel geben Ihnen zusätzliche Einblicke und vertiefende Analysen.